Rede im Kreistag zur Überprüfung von Kreistagsabgeordneten auf eine Tätigkeit beim MfS

Meine sehr geehrten Kollegen Kreistagsabgeordnete,

zuerst vorab: DIE LINKE wird den vorliegenden Antrag mehrheitlich mittragen. Allerdings ist diese Position in der Fraktion nicht unumstritten. Wir haben zum gewählten Verfahren einige grundsätzliche Bedenken, die ich im Folgenden erläutern will.

DIE LINKE hat seit 1991 eine eindeutige Beschlusslage zum Umgang mit politischen Biografien, die besagt, dass wir von Mandatsträgern in Parlamenten und Amtsträgern innerhalb der Partei eine Offenlegung ihrer Biografie verlangen. Dass sich nicht alle an diese Beschlüsse halten, mussten wir Ende vorigen Jahres im Land Brandenburg erfahren. Dennoch hat sich DIE LINKE in dieser Situation konsequent verhalten. Das führte dazu, dass ein Abgeordneter aus der Landtagsfraktion der Linken ausgeschlossen wurde, eine weitere Abgeordnete legte ihr Mandat nieder. Bei der Bewertung einer Mitarbeit für das Ministerium für Staatssicherheit ist für uns eine differenzierte Einzelfallprüfung unerlässlich. Um sich ein Urteil zu bilden, reicht es nicht aus zu wissen, ob jemand für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war. Wir wollen wissen, aus welchen Gründen er dort war, was er genau gemacht hat und auch, – und das finde ich einen nicht unwichtigen Punkt –, wie er selbst nach der Wende damit umgegangen ist. Wer stets offen mit seiner Biografie umgegangen ist und dem nichts substanzielles vorzuwerfen ist, muss natürlich anders bewertet werden, als jemand der erhebliche Schuld auf sich geladen hat und bis zuletzt alles abstreitet. Für einen solchen differenzierten Umgang werden wir uns auch hier im Kreistag einsetzen.

 

Dies wird nicht einfach sein, denn wie die Ereignisse auf Landesebene gezeigt haben, widerstehen auch im 20. Jahr nach der politischen Wende – oder vielleicht gerade deshalb – die politischen Kontrahenten und eine Reihe von Medienvertretern der Versuchung nicht, die Aufarbeitung der Zusammenarbeit mit dem MfS zu instrumentalisieren, um daraus aktuellen politischen Gewinn bzw. gesteigerte Aufmerksamkeit zu ziehen. Da ist differenzieren nicht angesagt und selbst bereits bekannte Fälle werden noch einmal als neue Erkenntnis verkauft. Teilweise hatten die Betroffenen nicht einmal die Chance, sich zu den Vorwürfen zu äußern, weil sie die Unterlagen, die ihre Person betrafen, erst nach der Presse und nach der politischen Konkurrenz erhalten haben. Eine solche Atmosphäre brauchen wir hier nicht, und ich hoffe sehr, dass das nun gewählte Verfahren nicht ausgenutzt wird, um politische Ziele zu verfolgen, sondern tatsächlich dazu dient, jeder und jedem Betroffenen eine Einzelfallprüfung zuzugestehen.

 

Wir sind uns sicher einig, dass das Ministerium für Staatssicherheit eine der Institutionen der DDR war, die man als demokratisch gesinnter Mensch mindestens moralisch verurteilen muss. Und dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass nicht jeder, der für dieses Ministerium tätig war, ebenfalls moralisch zu verurteilen ist. Auch wenn die CDU das nicht gern hört: Dieses Ministerium hat auch Leute unter Druck gesetzt, um sie dazu zu kriegen, für das MfS tätig zu werden. Können wir uns heute anmaßen, über solche Menschen den Stab zu brechen? Und können wir für uns selbst wirklich alle wie wir hier sitzen ausschließen, dass es möglich gewesen wäre, unter welchen Umständen auch immer, Mitarbeiter dieses Ministeriums zu werden? Auch deshalb war es uns wichtig, dass in den von der CDU vorgelegten Antragsentwurf in den bisherigen Beratungen eine Einzellfallprüfung aufgenommen wurde. Allerdings halten wir es für problematisch, mit dieser Einzelfallprüfung den Ältestenrat zu betrauen, das will ich kurz begründen:

  1. Wir halten die Sichtung der Unterlagen durch den Ältestenrat für nicht zielführend und hätten uns eine unabhängige Institution zur Bewertung der Unterlagen gewünscht. Vor allem auch, weil durch das nun festgelegte Verfahren zu erwarten ist, dass einem betroffenen Mitglied des Kreistages zum Zeitpunkt der Sichtung der Unterlagen die Unterlagen selbst nicht vorliegen, also bevor er selbst sich damit beschäftigen konnte, andere sich damit beschäftigen. Und ich hoffe sehr, dass das dann wirklich nur der Ältestenrat ist. ,
  2. Es ist problematisch, dass eine Empfehlung im Ältestenrat durch eine 2/3-Mehrheit , beschlossen werden kann. Das bedeutet, dass die Zählgemeinschaft allein über die Empfehlung entscheiden kann, da sie über diese 2/3-Mehrheit verfügt. Das heißt dann aber auch, dass das gesamte Verfahren, wie es im Antrag verankert ist, politisch missbraucht werden kann. Wir werden deshalb das gesamte Verfahren kritisch begleiten und werden prüfen, ob rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten werden. Da es bei der Bewertung nicht um juristische, sondern um moralische Fragen geht, gibt es letztlich keine allgemeingültigen Kriterien, so dass politische Aspekt immer mitschwingen. Wir werden darauf achten, ob die 2/3-Mehrheit im Ältestenrat die bereits erwähnte Versuchung widerstehen wird.

 

Die LINKSfraktion hat bereits im Januar 2010 alle Abgeordneten, die vom Alter her in Frage kommen, aufgefordert, einen Antrag auf freiwillige Selbstauskunft bei der Birthler-Behörde zu stellen. Im Sinne unserer Beschlüsse zur Offenlegung von politischen Biografien werden wir als Partei und als Fraktion gemeinsam mit den Betroffenen die Unterlagen sichten, diese bewerten und als Fraktion eine Empfehlung zum weiteren Umgang abgeben. Und wir werden nach diesem Verfahren die Öffentlichkeit über die Ergebnisse informieren. Ich sage hier klar, für uns ist unser eigenes Verfahren inkl. der Information der Öffentlichkeit das bindende. Wir werden im Sinne der Beschlusslage der Partei und der Fraktion, entscheiden, wie wir mit betroffenen Mitgliedern unserer Fraktion umgehen. Das können uns weder die politischen Kontrahenten noch der Ältestenrat abnehmen und wir lassen wir uns auch nicht von politischen Mitbewerbern vorschreiben, welche Empfehlung wir einem betroffenen Fraktionsmitglied geben. Und am Ende des Prozesses muss jeder Betroffene selbst entscheiden, wie er mit der Empfehlung umgeht. Alles andere ist nach geltender Rechtslage ohnehin nicht sanktionierbar.

Und, bevor sie jetzt fragen, , weshalb stimmen Sie , dann dem Antrag zu?: Wir stimmen zu, weil wir uns einer Aufarbeitung von Geschichte nicht verschließen wollen und nicht verschließen werden, weil wir ein Interesse daran haben, dass in diesem Landkreis tatsächlich damit begonnen wird, die Geschichte der DDR mit allen ihren Facetten zu beleuchten. Und dazu gehört dann auch nicht nur die Frage, wer bei der Stasi war und wer nicht. Für mich gehört dazu bspw. auch, welche Rolle die Parteien gespielt haben. Und wenn wir über persönliche Schuld sprechen, müssen wir auch über politische Schuld sprechen und ich glaube, dass es die eine oder andere Partei hier im Hause gibt, die gut daran tun würde, ihre eigene Rolle als Blockpartei in der DDR kritisch zu hinterfragen. Wir haben in dieser Hinsicht unsere Hausaufgaben gemacht und können aus diesem Wissen heraus sehr genau einschätzen, welche Rolle die SED im Staat DDR gespielt hat und auch für welche Fehlentwicklungen sie verantwortlich war. Aus dieser Aufarbeitung heraus haben wir nicht nur gesagt, dass wir unwiderruflich mit dem Stalinismus als System brechen, wir haben für unsere Politik Schlussfolgerungen daraus gezogen. Und eine dieser Schlussfolgerungen ist, dass wir, das demokratische System und die rechtstaatliche Ordnung als die Grundlagen unseres Handelns sehen. Auch deshalb möchte ich am Ende meiner Rede explizit darauf verweisen: Wir reden hier nicht über Straftatbestände, diese wären möglicherweise bereits verjährt und für Straftatbestände wären Gerichte zuständig, nicht wir. Wir reden hier über moralische Kategorien. Und es stellen dementsprechende Fragen: Kann ein Mensch sich ändern? Einmal Spitzel immer Spitzel? Ist es sinnvoll, die Tätigkeit für Geheimdienste und die Geheimdienste selbst nach moralischen Kategorien zu bewerten?

Auch wenn wir als Kreistag solche Fragen sicher nicht abschließend beantworten können, sollten wir sie doch im Hinterkopf behalten, um bei der Bewertung von Biografien von Mitgliedern dieses Gremiums mit Differenziertheit vorzugehen und immer auch daran zu denken, dass die Welt weder schwarz noch weiß ist und auch Menschen und ihre Biografien nicht in solche Kategorien passen.