Interview: »Der Minister hat die Situation verschärft« – Rechtsruck in Asylpolitik der Landesregierung. Krise des Sozialstaats wird akut.

Ich habe am Rande der Konferenz des VVN/BdA in Potsdam der Jungen Welt ein Interview gegeben, dieses dokumentiere ich hier:

»Der Minister hat die Situation verschärft«

Rechtsruck in Asylpolitik der Landesregierung. Krise des Sozialstaats wird akut. Ein Gespräch mit Andrea Johlige
Interview: Carmela Negrete

Auf Einladung der VVN–BdA haben Sie am vergangenen Wochenende in Potsdam über Ihre Arbeit im Brandenburger Landtag berichtet und über den Rechtsruck in dem Bundesland. Wie blicken Sie nach drei Jahrzehnten antifaschistischem Engagement auf diese Entwicklung?

Ich halte sie für äußerst besorgniserregend, da wir eine starke rechtsextreme Szene und neue Netzwerke sehen, die in Verbindung mit der »Querdenken«-Bewegung entstanden sind. Während der Pandemie haben sich neue Strukturen gebildet, die eng mit Neonazis verknüpft sind und auch für andere Anliegen mobilisieren können, wie wir derzeit an verschiedenen Stellen beobachten können. Man hat Bündnispartner in der »Mitte der Gesellschaft« gefunden und ist in der Lage, intensiver auf Debatten einzuwirken. Jetzt gibt es auch noch einen parlamentarischen Arm in Form der AfD.

Was können Antifaschistinnen und Antifaschisten aus Ihrer Sicht dagegen tun?

Wir befinden uns in einer herausfordernden Situation, denn der gesellschaftliche Rechtsruck wird dazu führen, dass die politische Linke, vor allem auch die antifaschistische Bewegung, stärker unter Druck gerät. Wir müssen überlegen, wie wir noch stärker zusammenrücken können, sowohl in der parlamentarischen Arbeit als auch im zivilgesellschaftlichen Kampf gegen diese Entwicklungen. Wir bemerken, dass die Debatte rund um Flüchtlingsunterkünfte viel härter geführt wird als 2015 und können uns nicht mehr auf die Solidarität in der Gesellschaft verlassen. Der Ton ist rauer geworden. Selbst die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang fordert nun vermehrt Abschiebungen, anstatt sich um Integration, Deutschkurse und die Abschaffung der Arbeitsverbote zu kümmern, die die Integration in den Arbeitsmarkt behindern. Das ist angesichts des Arbeitskräftemangels fatal.

Überall hört man, dass die Kommunen an der Grenze ihrer Kapazitäten sind. Stimmt das?

Nein. Wenn man sich die aktuellen Zahlen anschaut, sind deutschlandweit in diesem Jahr bisher etwa 200.000 Asylanträge gestellt worden, was nicht wesentlich mehr ist als in den vergangenen Jahren. In Brandenburg haben wir keine Unterbringungskrise, sondern eine Krise in den Sozialsystemen und der Sozialinfrastruktur. Es fehlt landesweit an bezahlbarem Wohnraum, was nur mittelbar etwas mit Flüchtlingen zu tun hat. Die Bevölkerung in Brandenburg ist in den vergangenen Jahren stärker gewachsen als erwartet, es wurden schlicht zu wenige bezahlbare Wohnungen gebaut. Man findet in keiner Region des Landes mehr eine bezahlbare Wohnung, selbst in ländlichen Gebieten, wo es vor einigen Jahren keine Probleme gab. Außerdem gibt es Schwierigkeiten mit Kitas und Schulen – zu wenige Kitaplätze und ausgebildete Erzieherinnen. Das gleiche Problem haben wir in den Schulen. Derzeit haben wir ein Programm, das Kommunen beim Schulbau unterstützen soll, aber das reicht bei weitem nicht aus. Es zeigt sich, dass großer Bedarf an neuen Schulen in den Kommunen besteht, es muss endlich genug Geld vom Land bereitgestellt werden.

Was unternimmt die derzeitige Brandenburger Landesregierung gegen die Probleme?

Wir als Linke werfen Innenminister Michael Stübgen von der CDU vor, seit Januar zu argumentieren, dass zu viele Flüchtlinge kämen und es Grenzkontrollen brauche. Er selbst hat aber die Situation verschärft, indem er die gut funktionierende Erstaufnahmeeinrichtung in Doberlug-Kirchhain geschlossen und damit 1.090 Unterbringungsplätze gestrichen hat. Gleichzeitig hat er in Eisenhüttenstadt weitere 500 Plätze abgebaut. Insgesamt sind das 1.590 Plätze mit guten Unterbringungsbedingungen, die nun fehlen. Statt dessen plant der Minisiter, 1.500 Plätze in Containern zu schaffen, was zusätzliche Investitionskosten bedeutet. Diese hätten obendrein deutlich schlechtere Bedingungen. Am Ende werden wir für 90 Unterbringungsplätze weniger 15 Millionen Euro extra ausgeben. Was für ein Irrsinn. Niemand kann erklären, warum die gut funktionierende Erstaufnahmeeinrichtung geschlossen wurde, ohne eine Alternative zu haben, und statt dessen diese Container aufgestellt werden.