“Obergrenzen” beim Flüchtlingsschutz nach europäischem Recht nicht zulässig

Vor ein paar Tagen wurde in den Medien über eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestages mit dem Titel “Obergrenzen für Asylsuchende und Bürgerkriegsflüchtlinge im Lichte des EU-Rechts” berichtet. Die Tagesschau hat diese Ausarbeitung hier im Wortlaut veröffentlicht. Ich habe mich damit mal ein wenig beschäftigt und versuche hier die Ergebnisse zusammenzufassen und am Ende aufzuschreiben, was im Lichte der aktuellen politischen Debatte interessant ist.

Lässt sich aus den primär- und sekundärrechtlichen Regelungen der EU eine quantitative Begrenzung ableiten?

Die Ausarbeitung prüft im zweiten Teil (der erste ist die Fragestellung und Einleitung), ob sich aus den primär- und sekundärrechtlichen Regelungen der Europäischen Union quantitative Elemente beim Flüchtlingsschutz ableiten und damit eine quantitative Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen ableiten lassen. Hierbei hat der Wissenschaftliche Dienst den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unter Bezugnahme auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sowie die EU-Grundrechte-Charta (GRC) geprüft. Als Zwischenergebnis wird festgehalten, dass sich dem Wortlaut dieser primärrechtlichen Bestimmungen “keine quantitativen Elemente entnehmen lassen, die in Richtung einer zahlenmäßigen Bestimmung oder Begrenzung der Aufnahme von international Schutzsuchenden weisen”.

In der Folge werden die auf der Grundlage dieser primärrechtlichen Regelungen erlassenen Rechtsakte der EU hinsichtlich der Fragestellung geprüft. Dies sind hier die Qualifikationsrichtlinie, die Asylverfahrensrichtlinie, die Dublin-III-Vorordnung, die Aufnahmerichtlinie, die Massenzustrom-Richtlinie, die Familienzusammenführungsrichtlinie sowie Ratsbeschlüsse über vorläufige Maßnahmen zugunsten von Italien und Griechenland. Auch hierzu führt der Wissenschaftliche Dienst aus, dass sich aus diesen sekundärrechtlichen Bestimmungen des EU-Flüchtlingsrechts keine Rechtsfolgen ergeben, die eine quantitative Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen rechtfertigen.

Deshalb wird als Ergebnis dieser Prüfung in diesem Teil der Ausarbeitung insgesamt ausgeführt: “Insgesamt ist festzuhalten, dass das geltende primäre und sekundäre EU-Asyl- und Flüchtlingsrecht keine Regelungen enthält, die eine zahlenmäßige Begrenzung der Aufnahme von international Schutzsuchenden vorsehen.”

Ist eine quantitative Begrenzung künftig möglich?

Im dritten Teil der Ausarbeitung wird geprüft, “ob die Verankerung von kapazitätsmäßigen Obergrenzen für die Aufnahme von international Schutzsuchenden künftig möglich wäre”. Dies wird unter zwei Konstellationen geprüft: a) ob eine Obergrenze auf EU-Ebene und b) eine Obergrenze durch einen Mitgliedsstaat eingeführt werden könnte.

a) Obergrenze auf EU-Ebene?

Zu a) wird neben allgemeinen Erwägungen vor allem die Vereinbarkeit mit der GFK (Recht auf Asyl, Schutz vor Aus- und Zurückweisung) geprüft. Hier kommt der Wissenschaftliche Dienst zum Zwischenergebnis, dass zwar die GRC kein Recht gegenüber der EU auf Einräumung eines Asylstatus birgt, jedoch den Schutz vor Aus- und Zurückweisung von Asylberechtigten bietet. Insofern wäre eine Obergrenze auf EU-Ebene nur möglich, wenn die Flüchtlinge in sichere Drittstaaten zurückgewiesen werden könnten, während es höchst zweifelhaft erscheine, dass eine “Aus- und Zurückweisung von Flüchtlingen in Verfolgerstaaten aus Gründen der Überschreitung einer Obergrenze gerechtfertigt werden könnte”.

Zu a) wird weiterhin die Vereinbarkeit mit der GRC (Verbot der Kollektivausweisung und Verbot der individuellen Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung) geprüft. Hier kommt der Wissenschaftliche Dienst zu der Einschätzung, dass es hierdurch zu einer pauschalen Ausweisung von Personengruppen käme, ohne dass deren individueller Status geprüft würde, was vor dem Hintergrund des Verbots der Kollektivausweisung problematisch wäre. Dies könne allenfalls in Anlehnung an den in der EMRK geregelten Notstandsfall gerechtfertigt werden. Dazu wird festgestellt: “Ob ein solcher Notstandsfall auf EU-Ebene allein durch einen Zustrom von international Schutzsuchenden ausgelöst werden könnte, erscheint höchst zweifelhaft.” Hinsichtlich des Verbots der individuellen Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung kommt der Wissenschaftliche Dienst zu der Einschätzung, dass von einem Eingriff in die GRC auszugehen ist, wenn “eine unionsweite Obergrenze dergestalt ausgestaltet (würde), dass die hiervon betroffenen Personen keine Möglichkeit hätten, gegen ihre (individuelle oder kollektive) Aus- und Zurückweisung mit einer wirksamen Beschwerde vorzugehen”.

b) Obergrenze in einzelnen Mitgliedsstaaten?

Die Frage, ob eine quantitative Begrenzung der Aufnahme international Schutzsuchender in einzelnen Mitgliedsstaaten der EU verankert werden könnte, wird hinsichtlich des Umfangs der unionsrechtlichen Pflicht zur Gewährung internationalen Schutzes, der Dublin-III-Verordnung, der Asylverfahrensrichtlinie, der GRC, der Wahrnehmung der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit, der Abweichungsbefugnis, der unionsgerichtlichen Kontrolle sowie der Berufung auf primär- und sekundärrechtliche Bestimmungen geprüft.

Dazu stellt der Wissenschaftliche Dienst fest: “Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH ist anzuerkennen, dass Art. 72 AEUV die Möglichkeit vorsieht, von sekundärrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des RSFR aus Gründen der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit abzuweichen. Es ist jedoch fraglich, ob die autonome Einführung einer mitgliedstaatlich festgesetzten Obergrenze auf dieser Grundlage zulässig wäre. Zweifel bestehen zunächst in Bezug auf den Umstand, dass Bestimmungen in den insoweit einschlägigen Rechtsakten als konkretisierendes Sekundärrecht angesehen werden könnten, das eine unmittelbare Anwendung des Art. 72 AEUV sperrt. Sodann ist fraglich, ob die tatbestandlichen Anforderungen dieser Vorschrift erfüllt werden könnten und ob die Verankerung einer Obergrenze mit Blick auf eine eventuelle Dauerhaftigkeit sowie alternative Maßnahmen zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen würde. Hiervon unabhängig spricht viel dafür, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall jedenfalls die Unionsgrundrechte und die daraus folgenden Vorgaben zum individuellen sowie kollektiven Aus- und Zurückweisungsschutz und zum Recht auf wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 18, 19, 47 GRC zu beachten hätten.”

Im Gesamtergebnis zum dritten Teil kommt der Wissenschaftliche Dienst denn auch (ganz kurz gesagt) zu dem Schluss, dass die Einführung einer unionsweiten Obergrenze problematisch wäre. Das sich ein Mitgliedsstaat im Rahmen seiner unionsrechtlichen Pflicht zur Aufnahme international Schutzsuchender entziehen kann, bezeichnet der wissenschaftliche Dienst als zweifelhaft und erklärt, dass viel dafür spräche, “dass die Mitgliedsstaaten in einem solchen Fall jedenfalls die Unionsgrundrechte und die daraus folgenden Vorgaben zum individuellen sowie kollektiven Aus- und Zurückweisungsschutz und zum Recht auf wirksamen Rechtsbehelf (…) zu beachten hätten”.

Und was folgt daraus politisch?

Es ist wie ausgeführt im Rahmen des europäischen und internationalen Rechts quasi unmöglich, eine quantitative Begrenzung für die Aufnahme international Schutzsuchender einzuführen. Und auch für einzelne Mitgliedsstaaten wäre eine Obergrenze nicht vereinbar mit dem gegebenen Rahmen internationalen und europäischen Rechts. Nur mit Notstandserklärung innerhalb der EU und unter Aufkündigung der Genfer Flüchtlingskonvention wäre die Begrenzung der Aufnahme international Schutzsuchender in Deutschland in nationales Recht umsetzbar.

Es mag aktuell politisch angesagt sein, den Eindruck zu erwecken, man könne die aktuelle Situation dadurch entspannen, dass man “Obergrenzen” oder “Kontingente” fordert. Und das mag auch Teile der Wählerschaft ansprechen. Nach dieser Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Diensts ist aber klar, dass diejenigen, die von “Begrenzung der Flüchtlingszahlen” reden, nichts weiter als heiße Luft verbreiten. Es wäre allen zu raten, sich stattdessen lieber um die Bekämpfung der Fluchtursachen zu kümmern. Man könnte ja mal mit dem Verbot von Waffenexporten anfangen, den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Syrien lassen und die internationalen Hilfsorganisationen besser ausstatten. Als erste Schritte. Und weil die Bekämpfung der Ursachen lange dauert, wird nur die Organisation einer guten Aufnahme, Versorgung, Betreuung und Integration der Asylsuchenden in der aktuell durchaus nicht leichten Situation helfen.

Fakten gegen Vorurteile

Können Flüchtlinge Züge ohne Fahrschein nutzen?

Die Kurzfassung der Antwort lautet: Nein!

Aber der Reihe nach. Eigentlich ignoriere ich Kleine Anfragen der AfD, vor allem bei Fragen zu Flüchtlingen, weil sie in der Regel nur das Ziel haben, fremdenfeindliche Ressentiments zu schüren und Geflüchtete in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken. Von dem Grundsatz weiche ich heute einmal ab, weil die Antwort der Landesregierung auf diese Anfrage das Ansinnen der AfD nach hinten los gehen lässt und genau das Gegenteil bewirken kann: Aufklärung und Aufräumen mit verbreiteten Vorurteilen.

Die AfD wollte also wissen, ob es Regelungen bei der Deutschen Bahn, der Ostdeutschen Eisenbahn oder dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg gibt, die Flüchtlingen ermöglichen, Züge ohne Fahrschein zu nutzen. Die Landesregierung stellt klar:

“Es wurden keine kostenlosen Ersatzfahrscheine ausgestellt. Im Bereich des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg wurde zu keinem Zeitpunkt die Regelung aufgehoben, dass für die Nutzung von Zügen ein Fahrausweis benötigt wird. Viele Flüchtlinge müssen zunächst den Umgang mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erlernen. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg und die Verkehrsunternehmen erstellten gemeinsam mehrsprachige Informationsblätter sowie eine neue Website www.VBB.de/welcome, um Hinweise und Tipps für die ÖPNV Nutzung zu geben. Mittels der mehrsprachigen Informationen sollen die neuen Kunden vor ihrer ersten Fahrt erreicht werden.
Die Verkehrsunternehmen haben ihre Kundenbetreuer angehalten, mit Augenmaß im Ermessensfall die Kulanzgewährung (z. B. Fahrausweisverkauf im Zug) auszuüben. Es soll über den bestehenden Tarif informiert und darauf hingewiesen werden, dass der Fahrausweiserwerb vor Fahrtantritt erfolgen muss. Die Kundenbetreuer der DB Regio AG führen zur leichteren Verständigung einen mehrsprachigen Flyer mit. Diese Kulanzleistungen stellen jedoch absolute Ausnahmefälle dar. (…) Die angewandte Kulanzregelung wird z. B. auch bei ortsunkundigen Touristen gewährt. (…)”

Ich glaube, das muss man nicht weiter kommentieren. Gerüchte und Vorurteile halten eben doch oft keiner Überprüfung stand….

Flüchtlinge in Brandenburg

Behauptungen und Vorurteile im Faktencheck (Stand: 5.12.2015)

Bereits vor einigen Monaten hat die Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg ein Faltblatt zu Vorurteilen im Faktencheck herausgegeben. Dieses liegt nun in einer überarbeiteten Version vor. Zum PDF des Faltblatts geht es hier. Gleichzeitig dokumentiere ich hier den Text, der gern auch unter Angabe der Quelle (Andrea Johlige, Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg) weiter verwendet werden kann:

Fast täglich berichten die Medien über Probleme bei der Unterbringung von Asylsuchenden. Die Kommunen organisieren Quartiere, um Asylsuchende und Flüchtlinge aufzunehmen. Oft treffen sie auf Unverständnis, Ablehnung und Ängste. Diese Ängste werden oftmals bewusst geschürt. Allerdings entsprechen einige Behauptungen nicht den Fakten. Die gängigsten Vorurteile und Behauptungen sollen hier hinterfragt und geprüft werden.

Behauptung 1: „Asylbewerber ,überschwemmen‘ Brandenburg“
Fakt ist: Asylsuchende stellen nur einen verschwindend geringen Bevölkerungsanteil.

Aufgrund der zahlreichen Konflikte und Krisen in der Welt steigt gegenwärtig die Zahl von Flüchtlingen, die in Deutschland Schutz suchen. Brandenburg nimmt 3,1 Prozent dieser Flüchtlinge für die Dauer ihrer Asylverfahren auf. Gemessen an der Bevölkerung machen sowohl Menschen ausländischer Herkunft als auch Asylsuchende nur einen verschwindend geringen Anteil aus. Nur 2,6 Prozent der Brandenburger Bevölkerung sind AusländerInnen, 2014 kamen ca. 6.300 Asylsuchende nach Brandenburg. Im Jahr 2015 werden etwa 35.000 Menschen in Brandenburg erwartet.

Es dürfen bei weitem nicht alle bei uns Schutzsuchenden bleiben. Bei ca. einem Drittel sind andere Mitgliedstaaten der EU für das Asylverfahren zuständig und die AntragstellerInnen werden dorthin überstellt. Ein hoher Anteil  der Anträge wird aus inhaltlichen Gründen abgelehnt. Ca. 40 Prozent  der AntragstellerInnen erhalten einen Schutzstatus.

Es ist richtig, dass das Land und die Kommunen nicht ausreichend auf die steigenden Asylbewerberzahlen vorbereitet waren, es konnte aber auch niemand wissen, dass so viele Menschen Schutz suchen werden. Allerdings haben Anfang der 90er Jahre ähnlich viele Flüchtlinge Deutschland erreicht. In späteren Jahren wurden die Unterbringungskapazitäten wieder reduziert. Insofern ist es zwar aktuell keine leichte Situation für die Kommunen, Grund zur Panik besteht aber nicht!

Behauptung 2: „Asylbewerber bedrohen unsere/die deutsche/die abendländische Kultur!“
Fakt ist: Unsere Kultur wird seit Jahrhunderten durch Migration geprägt.

Das, was manche gern als „abendländische“ oder „deutsche“ Kultur bezeichnen, ist erst durch historische Migrationsbewegungen und Einflüsse anderer Kulturen entstanden. Migration prägt unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten. Menschen mit „Migrationshintergrund“, oft schon in zweiter oder dritter Generation in Deutschland sesshaft und hier geboren, sind weder aus der Wirtschaft noch aus dem öffentlichen Leben wegzudenken. Hinzu kommt: Werden Flüchtlinge und Asylsuchende in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, ist ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben kaum möglich oder erschwert. Unser Ziel ist und bleibt, Asylsuchenden und Menschen mit einem Aufenthaltsstatus bzw. einer Duldung die bestmögliche Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen.

Behauptung 3: „Asylbewerber sind krimineller als Einheimische!“
Fakt ist: Es gibt keinen Nachweis für diese Behauptung.

Die Sicherheitsbehörden weisen darauf hin, dass Kriminalität unter Asylsuchenden nicht stärker ausgeprägt ist als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Die Lageeinschätzung ist entgegen vieler Befürchtungen einhellig: Flüchtlingsunterkünfte sind keine Kriminalitätsschwerpunkte und die Kriminalität steigt durch die Errichtung von Unterkünften für Flüchtlinge in deren Umgebung nicht. Allerdings nimmt in den letzten Monaten die rassistisch motivierte Kriminalität gegen Ausländer im Allgemeinen und Asylsuchende im Besonderen zu.

Der Eindruck, es gäbe überdurchschnittlich viele ausländische Straftäter, täuscht. Asylbewerber sind nicht krimineller als Deutsche. Aber wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen kommt es auch zu einem Anstieg bei Eigentumsdelikten und Auseinandersetzungen unter Asylsuchenden in den Unterkünften. Und es gibt immer wieder Gerüchte, dass Asylbewerber stehlen und dafür nicht bestraft würden. Vor allem in den sozialen Medien gibt es viele Gerüchte, die aber weder von der Polizei oder dem Einzelhandel bestätigt werden. Asylsuchende haben damit in aller Regel nichts zu tun. Verhalten sie sich kriminell, schaden sie sich selbst, denn das schmälert ihre Chance auf Asyl.

Die Herkunft allein treibt Menschen nicht dazu, kriminell zu werden. Gründe können soziale Konflikte, Armut oder psychische Erkrankungen sein – dabei ist es gleichgültig, woher ein Mensch stammt. Viele Straftaten von Asylsuchenden können nicht von Deutschen verübt werden, weil es sich um Straftaten gegen das Aufenthalts-, das Asylverfahrensrecht und das Freizügigkeitsgesetz/EU handelt. Tatsächlich hat das Gefühl, dass AusländerInnen krimineller wären als „Einheimische“, auch etwas damit zu tun, dass „Fremde“, noch dazu solche, die anders aussehen, uns verunsichern. Deshalb: Versuchen Sie die Menschen kennen zu lernen. Vor jemandem, mit dem man mal einen Kaffee getrunken hat, hat man weniger Angst als vor jemandem, den man immer nur von weitem sieht!

Behauptung 4: „Asylbewerber bekommen mehr Geld vom Staat als Deutsche!“
Fakt ist: Ihre soziale Lage ist alles andere als beneidenswert.

Weit über die Hälfte der Flüchtlinge und Asylbewerber sind in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, ihnen stehen pro Person maximal sechs Quadratmeter zu. Sie erhalten Unterkunft, Essen, Kleidung, Medikamente und Hygieneartikel sowie ein Taschengeld. Medizinisch versorgt werden sie nur bei akuter Erkrankung.

Unser Ziel ist eine Unterbringung in Wohnungen und eine umfassende gesundheitliche Versorgung. Asylsuchende sollen über eine Gesundheitskarte Zugang zum Gesundheitssystem und seine Leistungen erhalten. Diese langjährige Forderung der Linksfraktion wird aktuell durch die Landesregierung umgesetzt. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten die Betroffenen derzeit je nach Alter und Familienstand neben der Unterkunft zwischen 215 und 362 Euro im Monat und erhalten damit geringere Leistungen als Erwerbslose im SGB II-Bezug, der liegt bei 399 Euro im Monat.

Im Übrigen gilt: Niemand bekäme mehr Lohn, eine höhere Rente oder höhere Sozialleistungen, wenn weniger Flüchtlinge oder Asylsuchende aufgenommen würden. Das Grundproblem ist und bleibt die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland.

Behauptung 5: „Die Kommune hat eh schon kein Geld, jetzt gibt sie es auch noch für Asylbewerber aus!“
Fakt ist: Die Kommunen bekommen den Großteil der Aufwendungen für Flüchtlinge vom Land erstattet.

Ein Großteil der den Landkreisen und kreisfreien Städten entstehenden Kosten werden durch das Land erstattet. Geregelt wird dies durch die Erstattungsverordnung des Landes. Für Unterbringung, Betreuung und Erbringung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wird den Kommunen pro Person gegenwärting eine Jahrespauschale von 9.128 Euro gezahlt. Diese Erstattung endet bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und ist auf vier Jahre begrenzt. Zusätzlich werden pro Gemeinschaftsunterkunft Bewachungskosten in Höhe von 6.900 Euro monatlich pauschal erstattet.

Den Kommunen wird vom Land pro geschaffenen Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft eine Investitionspauschale in Höhe von 2.300,81 Euro gezahlt. Im Jahr 2014 wurde zusätzlich einmalig ein Landesprogramm in Höhe von 5 Millionen Euro aufgelegt, das die Schaffung zusätzlicher Plätze in Gemeinschaftsunterkünften und Wohnungen sowie den barrierefreien Umbau gefördert hat. Diese Summen reichen bei einem Neubau bzw. einer Ertüchtigung vorhandener Gebäude nicht immer aus. Deshalb hat das Land angeboten, Kommunen kostenfrei geeignete Landesimmobilien für die Unterbringung von Asylsuchenden zur Verfügung zu stellen. Weitere Maßnahmen sind in Vorbereitung.

Die finanzielle Unterstützung der Länder bei der Unterbringung von Flüchtlingen durch den Bund ist nach wie vor unzureichend. Deshalb bleibt unsere Forderung, dass der Bund sich endlich angemessen an den Kosten für Unterbringung, Versorgung und Integration von Asylsuchenden beteiligt bzw. diese mittelfristig vollständig übernimmt.

Behauptung 6: „Flüchtlinge überfordern die kommunale Infrastruktur!“
Fakt ist: Asylsuchende bringen Geld in die Gemeinde- bzw. Stadtkasse und können der Ausdünnung kommunaler Infrastruktur sogar entgegen wirken. 

Strukturschwache Regionen haben mit schlechter Verkehrsanbindung, Ärztemangel und Schulschließungen zu kämpfen. Die Infrastruktur wird ausgedünnt, weil die Einwohner weniger und älter werden. Manche fürchten, dass sich dies noch verschärft, wenn Flüchtlinge aufgenommen werden. Deren Unterbringung kann jedoch dem Rückbau der kommunalen Infrastruktur sogar entgegenwirken: Flüchtlinge werden in das Einwohnermelderegister eingetragen, wodurch sich die Einwohnerzahl einer Gemeinde erhöht. Damit erhöht sich auch die Zuweisung aus dem kommunalen Finanzausgleich für die Kommune. Gleichzeitig kann der Besuch von Kitas und Schulen durch Flüchtlingskinder drohende Schließungen wegen Unterbelegung abwenden helfen.

Behauptung 7: „Asylbewerber nehmen uns Arbeitsplätze weg!“
Fakt ist: Asylsuchende dürfen anfangs gar nicht arbeiten, später müssen sie einige Hürden überwinden.

Jahrelang durften Asylsuchende in den ersten neun Monaten ihres Asylverfahrens nicht regulär arbeiten, also nur Hilfsarbeiten ausführen und sich über Ein-Euro-Jobs maximal 80 Euro im Monat hinzuverdienen. Dieser Zeitraum wurde nun auf drei Monate reduziert. In den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts gilt jedoch ein Beschäftigungsvorbehalt: Jobcenter müssen prüfen, ob es einen ähnlich qualifizierten deutschen Bewerber oder EU-Bürger gibt. Viele Asylsuchende scheitern bei der Suche nach Arbeit zudem an bürokratischen Hürden und Vorbehalten potentieller Arbeitgeber und auch die Anerkennung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse gestaltet sich oftmals langwierig und schwierig.

Übrigens: Der Zuzug junger, gut qualifizierter Menschen bringt auch Geld in die Staatskassen. Ihre Ausbildung wurde im Herkunftsland finanziert, bei uns aber zahlen sie Steuern und Sozialabgaben, wenn sie berufstätig werden. Schon aus demografischen Gründen brauchen wir ausländische Fachkräfte und auch die Sozialkassen wären ohne zugewanderte BeitragszahlerInnen längst pleite.

Behauptung 8: „Asylbewerber werden in ihrer Heimat gar nicht verfolgt!“
Fakt ist: Die Behörden haben vor das Bleiberecht hohe Hürden gestellt.

Niemand riskiert leichtfertig sein Leben und lässt seine Heimat, seinen Besitz und seine Familie zurück. Die Hoffnung auf Asyl ist für viele die letzte Überlebenschance. Die Aufnahme von notleidenden Menschen ist kein Gnadenakt, sondern Vollzug humanitären Völkerrechts. Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, auf die freiwillige Ausreise eines Asylsuchenden hinzuwirken bzw. diesen abzuschieben, wenn nur wirtschaftliche oder finanzielle Beweggründe hinter dem Asylantrag stehen. Das vorläufige Bleiberecht erhalten nur diejenigen, die nachweislich aus politischen, religiösen oder anderen Gründen verfolgt werden, oder sich vor Kriegen und Konflikten in Sicherheit gebracht haben.

Behauptung 9: „Asylbewerber wollen unsere Sprache nicht erlernen!“
Fakt ist: Asylsuchende haben während ihres Asylverfahrens bislang keinen Anspruch auf finanzierte Deutschkurse.

Den allermeisten Asylsuchenden ist klar, dass sie für eine erfolgreiche Integration Deutsch lernen müssen. Gelingt ihnen das (noch) nicht, so liegt das überwiegend nicht an mangelndem Willen, sondern an fehlenden Möglichkeiten. Die Integrationskurse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge dürfen nur Menschen nutzen, deren Asylverfahren abgeschlossen ist. In Brandenburg wurde deshalb ein Programm aufgelegt, das es Asylsuchenden bereits während ihres Verfahrens ermöglicht, an Deutschkursen teilzunehmen. Oftmals bieten auch ehrenamtliche HelferInnen Kurse an, die meist sehr gut angenommen werden.

Referentenentwurf „Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ vom 16.11.2015

Eine Bewertung

Am 5. November 2015 haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD weitere Asylrechtsverschärfungen verabredet, die nun auf den parlamentarischen Weg gebracht werden. Der Referentenentwurf setzt einen Teil davon um, geht aber in Teilen auch über die Einigung der Parteivorsitzenden hinaus.

Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass die umfassenden Asylrechtsänderungen aus dem Oktober gerade erst in Kraft getreten und noch nicht einmal im Ansatz umgesetzt sind. Erneute Verschärfungen und Änderungen werden vor allem weitere Verunsicherung schaffen und das bereits überlastete System weiter chaotisieren. Eine erneute Änderung – egal welchen Inhalts – ist deshalb zum aktuellen Zeitpunkt nicht sinnvoll, um das Asylsystem zu stabilisieren. Gleichzeitig sind die Vorschläge darauf gerichtet, weitere Abschreckungsmechanismen zu schaffen und der Öffentlichkeit vorzugaukeln, die aktuellen Probleme wären durch Verschärfungen des Asylrechts lösbar. Gleichzeitig stellt die Einführung eines beschleunigten Verfahrens einen massiven Eingriff in das individuelle Recht auf Asyl dar, der nicht nur (wie öffentlich diskutiert) Asylsuchende aus sicheren Herkunftsstaaten, sondern diverse weitere Asylsuchende treffen wird, so dass davon auszugehen ist, dass das beschleunigte Verfahren faktisch zu einem Standardverfahren werden wird.

Zu den einzelnen im Referentenentwurf enthaltenen Regelungen:

  • Beschleunigtes Asylverfahren
    • Soll angewendet werden auf Asylsuchende
      • die nur Umstände vorgebracht haben, die für Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nicht von Belang sind,
      • aus sicheren Herkunftsländern,
      • die falsche Angaben über Identität oder Staatsangehörigkeit gemacht haben,
      • ihr Reisedokument mutwillig vernichtet oder beseitigt haben oder Umstände diese Annahme rechtfertigen,
      • eindeutig unstimmige, widersprüchliche, falsche oder unwahrscheinliche Angaben gemacht haben,
      • einen Folgeantrag gestellt haben,
      • den Antrag nur zur Verzögerung einer drohenden Abschiebung stellen,
      • unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist sind oder den Aufenthalt unrechtmäßig verlängert haben, ohne zum frühestmöglichen Zeitpunkt bei den Behörden vorstellig zu werden
      • erkennungsdienstliche Maßnahmen verweigern oder
      • die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden
    • BAMF entscheidet innerhalb einer Woche nach Aufnahme in besonderer Aufnahmeeinrichtung
    • Asylsuchende müssen während des Verfahrens in besonderer Aufnahmeeinrichtung wohnen

Es ist davon auszugehen, dass die umfassenden und teilweise auch recht unbestimmten Formulierungen dazu führen werden, dass das beschleunigte Verfahren faktisch zum neuen Standardverfahren wird. Vor allem die Einreise ohne Reisedokumente trifft sehr viele Asylsuchende und die Abgrenzung zwischen denjenigen, die ihren Pass tatsächlich weggeworfen oder vernichtet haben und denjenigen, die diesen verloren haben oder auf ihre Flucht nicht mitnehmen konnten, dürfte fast unmöglich sein. Und auch bei denjenigen, die während ihrer Flucht ihre Identität bewusst verschleiern mussten, wird künftig das beschleunigte Verfahren Anwendung finden.

Auch die Rechtfertigung der Anwendung des beschleunigten Verfahrens bei Menschen, die nur Gründe vorgebracht haben, die im Asylverfahren nicht von Belang sind, ist unbestimmt und dürfte in der Praxis zu sehr hohen Fallzahlen im beschleunigten Verfahren führen. Selbiges gilt bei denjenigen, die falsche oder widersprüchliche Angaben gemacht haben.

Damit wird quasi das umstrittene Flughafenverfahren, dass in der Praxis häufig zu Fehlentscheidungen führt, weiter ausgeweitet. Das Verfahren steht in der Kritik, da keine Zeit ist, Fluchtgründe ausreichend zu überprüfen, oftmals keine spezialisierten Entscheider zur Verfügung stehen, die Anhörungen am „Fließband“ wenig sensibel und oft zu kurz geführt werden und die Bescheide oberflächlich sind. Es sind in einer Studie von Pro Asyl eklatante Fehlentscheidungen dokumentiert, die nach der Abschiebung zu Verhaftungen im Herkunftsstaat führten. All diese Kritikpunkte am Flughafenverfahren sind 1:1 auf das beschleunigte Verfahren übertragbar. Die individuelle Prüfung von Fluchtgründen wird in diesem Schnellverfahren nicht möglich sein. Damit wird das Grundrecht auf Asyl ein weiteres Mal massiv ausgehöhlt.

  • Nichtbetreiben des Verfahrens
    • Antrag gilt als zurückgenommen, wenn Verfahren nicht betrieben wird. Nichtbetreiben wird angenommen wenn:
      • wesentliche Informationen nicht vorgelegt werden oder der Aufforderung zur Anhörung nicht nachgekommen wird,
      • Asylsuchender untergetaucht ist oder seinen Melde- und Mitteilungspflichten nicht nachgekommen ist oder
      • gegen räumliche Beschränkung der Aufenthaltsgestattung (Residenzpflicht) verstoßen wurde
    • Antrag gilt auch als zurückgenommen, wenn Asylsuchender in seinen Herkunftsstaat reist
    • Bei zurückgenommenem Antrag stellt BAMF Asylverfahren ein und erlässt Abschiebeandrohung, von Feststellung von Abschiebeverboten kann abgesehen werden, Ausreisefrist eine Woche
    • Wiederaufnahme des Verfahrens kann beantragt werden

Diese Regelung, dass bereits wegen eines Verstoßes gegen die Residenzpflicht oder des Versäumens einer Anhörung der Antrag als zurückgenommen gilt und damit die Abschiebung droht, verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist mit der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar. Die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verletzung der Residenzpflicht sind zudem von der EU-Aufnahmerichtlinie nicht gedeckt. 

  • Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte
    • Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigten erst nachdem er zwei Jahre lang eine Aufenthaltserlaubnis besessen hat

Anders als noch im Papier der Parteivorsitzenden vorgesehen handelt es sich jedoch nicht um eine vorübergehende Aussetzung des Familiennachzugs sondern um die Festschreibung einer grundsätzlichen zweijährigen Wartefrist. Diese Frist gilt jedoch nicht ab Einreise sondern ab Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, also nach Abschluss des Verfahrens, was in der Praxis dazu führt, dass Familien mindestens vier Jahre (ohne die Zeit der Flucht gerechnet) getrennt sind, denn auch das Botschaftsverfahren dauert in der Regel ca. ein Jahr.

Subsidiär geschützte Personen sind jene, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannte bzw. keinen Flüchtlingsstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben, die jedoch einen Aufenthaltsstatus erhalten, weil ihnen im Herkunftsland Tod, Folter oder ernsthafte Bedrohung drohen. Mit der Gesetzesänderung im August wurde ihr rechtlicher Status dem der anerkannten Flüchtlinge angepasst. Zwar handelt es sich aktuell um eine recht kleine Gruppe von Geflüchteten, bis Oktober erhielten im Jahr 2015 lediglich 1.366 Personen, vorrangig aus Eritrea und Afghanistan, diesen Status. Allerdings ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Verweigerung des Familiennachzugs für jede und jeden Einzelnen eine extreme persönliche Härte darstellt, die auch schwerwiegende psychische Probleme zur Folge haben kann. Und gleichzeitig wurde wenige Tage nach der Verkündung des Papiers der Parteichefs deutlich, wohin die große Koalition steuert: als bekannt wurde, dass der Innenminister das BAMF angewiesen hat, Syrerinnen und Syrern vorrangig nur noch subsidiären Schutz zu gewähren. Zwar wurde diese Maßnahme eilig zurück genommen, es wurde dadurch jedoch deutlich, dass zumindest die Unions-Seite durchaus das Ziel verfolgt, Flüchtlingen massenhaft den Familiennachzug zu verwehren.
Dies hätte weitreichende Auswirkungen: Bereits jetzt ist zu beobachten, dass immer mehr Frauen und Kinder sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen. Die Verweigerung des Familiennachzugs wird – neben den beschriebenen Härten für diejenigen, die bereits hier sind – zur Folge haben, dass noch mehr Frauen und Kinder, Alte und Kranke sich auf den für sie besonders lebensgefährlichen Weg begeben.
Hinzu kommt, dass eine solche Maßnahme integrationsfeindlich ist. Einerseits ist gewollt, dass Asylsuchende in den Arbeitsmarkt integriert werden, andererseits wird ihnen aber mitgeteilt, dass ihre Familien in den Kriegsgebieten verbleiben müssen. Das ist nicht nur widersinnig sondern auch unmenschlich.

Und: In der Begründung zum Gesetzentwurf wird ausdrücklich darauf abgehoben, dass auch der Familiennachzug von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eingeschlossen ist, was faktisch die dauerhafte Trennung von Eltern und Kind bedeutet.

  • Eigenbeteiligung an den Integrationskursen aus dem soziokulturellen Existenzminimum für BezieherInnen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und nach SGB II in Höhe von 1,39 Euro monatlich

Das soziokulturelle Existenzminimum dient der Sicherung der Teilhabe an der Gesellschaft. Gleichzeitig besteht nach Abschluss des Asylverfahrens für diejenigen, die einen Status erhalten haben, eine Teilnahmeverpflichtung, es sei denn, sie befinden sich in Ausbildung oder besuchen vergleichbare Kurse (§44a Aufenthaltsgesetz). Das bedeutet dann rein praktisch, dass diejenigen, die auf einen Integrationskurs angewiesen sind, Beschneidung des soziokulturellen Existenzminimums hinnehmen müssen, während diejenigen, die einen Kus über die Bundesagentur für Arbeit erhalten, keine Einbußen haben. Diejenigen, die für den Arbeitsmarkt interessant scheinen, würden also besser gestellt als diejenigen, von denen dies nicht angenommen wird.

Der Betrag in Höhe von 1,39 Euro monatlich ist so gering, dass eine politische Auseinandersetzung nicht lohnt. Aktuell ist mir unklar, weshalb dies hier eingeführt wird. Ggf. geht es um eine grundsätzliche Regelung, bei der der Betrag später erhöht werden soll?

  • Abschiebungshindernis Krankheit
    • Erhebliche konkrete Gefahr, die Abschiebungshindernis darstellt, liegt nicht vor bei
      • nicht lebensbedrohlichen Krankheiten und
      • bei Abschiebung in Staat mit ausreichender medizinischer Versorgung (was auch gilt, wenn es in einem Teil des Staates eine ausreichende medizinische Versorgung gibt), dies nimmt Gesetzgeber bei allen Staaten an, die
        • der EU bzw. dem europäischen Wirtschaftsraum angehören,
        • zu den Beitrittskandidaten der EU gehören,
        • zu den G20-Staaten gehören,
        • der europäischen Region der WHO angehören oder
        • bei per Gesetz festgelegten Staaten, hier Ghana und Nigeria

Das bedeutet, dass auch lebensbedrohlich erkrankte Personen abgeschoben werden, wenn eine ausreichende medizinische Versorgung im Herkunftsstaat gegeben ist. Dabei ist es unerheblich, ob die jeweilige Krankheit dort wirklich behandelt werden kann. Eine individuelle Prüfung, ob ein Abschiebeschutz besteht, findet damit nur noch im Ausnahmefall statt.

  • Psychische Erkrankungen (bis auf wenige Ausnahmen) und Krankheiten, die bereits im Herkunftsland bestanden, sind kein Abschiebungshindernis

Dies betrifft vor allem Personen, die ggf. bei Abschiebung Suizid begehen. Dies wird künftig in Kauf genommen.

  • Nur noch vom Bundesinnenministerium bestellte Ärzte entscheiden über die „Reisefähigkeit“, Widersprüche und Klagen gegen Entscheidungen dieser Mediziner haben keine aufschiebende Wirkung

Nicht Mediziner, die mit dem jeweiligen Krankheitsbild vertraut sind sondern vom Bundesministerium bestellte Mediziner entscheiden darüber, ob jemand abgeschoben werden darf oder nicht. Es steht zu befürchten, dass dies zu einer sehr rigiden Praxis führen wird.

Beschluss der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD zu weiteren Vorhaben in der Asylpolitik

Eine Bewertung

Am 5. November 2015 haben die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD weitere Asylrechtsverschärfungen verabredet, die nun auf den parlamentarischen Weg gebracht werden.

Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass die umfassenden Asylrechtsänderungen aus dem Oktober gerade erst in Kraft getreten und noch nicht einmal im Ansatz umgesetzt sind. Erneute Verschärfungen und Änderungen werden vor allem weitere Verunsicherung schaffen und das bereits überlastete System weiter chaotisieren. Eine erneute Änderung – egal welchen Inhalts – ist deshalb zum aktuellen Zeitpunkt nicht sinnvoll, um das Asylsystem zu stabilisieren. Gleichzeitig sind die Vorschläge darauf gerichtet, weitere Abschreckungsmechanismen zu schaffen und der Öffentlichkeit vorzugaukeln, die aktuellen Probleme wären durch Verschärfungen des Asylrechts lösbar.

Zu den einzelnen Verabredungen:

  • Schaffung eines einheitlichen Ausweises und einer Datenbank zur Identifizierung von Asylsuchenden und Flüchtlingen, Registrierung und Ausstellung des Ausweises sollen Voraussetzung für die Stellung des Asylantrages und die Gewährung von Leistungen sein

Dieser Punkt hat in der öffentlichen Debatte bisher keinerlei Rolle gespielt. Grundsätzlich kann dies sinnvoll sein im Rahmen der Harmonisierung der Datenbanksysteme der verschiedenen beteiligten Behörden. Es kann auch sinnvoll sein, da die unterschiedlichen Ausweise, die es je nach Status gibt, regelmäßig zu Verwirrungen führen. Insofern muss man sich hier anschauen, was genau im Gesetz stehen wird, welchen Umfang die Datenspeicherung hat und wer in welchem Umfang auf die Daten zugreifen soll.

  • Beschleunigtes Asylverfahren für Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern, mit Wiedereinreisesperren, mit Folgeanträgen oder ohne Mitwirkungsbereitschaft in Anlehnung an das Flughafenverfahren; Verwaltungsverfahren soll innerhalb einer Woche, Rechtsmittelverfahren innerhalb von zwei Wochen abgeschlossen sein

Damit wird das umstrittene Flughafenverfahren, dass in der Praxis häufig zu Fehlentscheidungen führt, weiter ausgeweitet. Das Verfahren steht in der Kritik, da keine Zeit ist, Fluchtgründe ausreichend zu überprüfen, oftmals keine spezialisierten Entscheider zur Verfügung stehen, die Anhörungen am „Fließband“ wenig sensibel und oft zu kurz geführt werden und die Bescheide oberflächlich sind. Es sind in einer Studie von Pro Asyl eklatante Fehlentscheidungen dokumentiert, die nach der Abschiebung zu Verhaftungen im Herkunftsstaat führten.
Die Ungleichbehandlung von „erwünschten“ und „nicht erwünschten“ Flüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten bereits im Verfahren wird durch diese Festlegung der Parteichefs ausgeweitet und ihre Rechtsstellung weiter verschlechtert.
Bisher nicht öffentlich diskutiert, jedoch zusätzlich sehr problematisch ist die beabsichtigte Anwendung dieses beschleunigten Verfahrens bei denjenigen, denen fehlende Mitwirkungsbereitschaft unterstellt wird. Da es zum Zeitpunkt der Einreise noch keine Anhaltspunkte geben kann, ob jemand am Verfahren „mitwirken“ will oder nicht, ist zu befürchten, dass diese „fehlende Mitwirkungsbereitschaft“ bereits dann unterstellt wird, wenn die Geflüchteten keine Papiere besitzen. Eine massenweise Anwendung dieses verkürzten Verfahrens ist deshalb zu befürchten.

  • Schaffung von 3 bis 5 Aufnahmeeinrichtungen, die ausschließlich für die Antragstellung,
    -bearbeitung und -entscheidung sowie das Rechtsmittelverfahren und die Rückführung und Abschiebung dieser Personengruppe zuständig sind. In diesen Zentren herrscht eine verschärfte Residenzpflicht bezogen auf den Bezirk der unteren Ausländerbehörde, deren Verletzung den Wegfall des Leistungsanspruchs und das Ruhen des Verfahrens zur Folge haben. Ein Wiederaufnahmeantrag kann nur in der jeweiligen Einrichtung gestellt werden und ein erneuter Verstoß gegen die Residenzpflicht hat das Erlöschen des Antrags und die sofortige Ausreisepflicht unabhängig eines möglichen Rechtsbehelfs zur Folge.

Über die Frage der Registrierungszentren ist öffentlich viel gestritten worden. In der Konsequenz ist der Unterschied zu den von der Union zuvor geforderten Transitzonen bestenfalls kosmetisch. Die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verletzung der Residenzpflicht sind von der EU-Aufnahmerichtlinie nicht gedeckt. Vor allem das Erlöschen des Asylantrags bei wiederholtem Verstoß gegen die Residenzpflicht ist eine Maßnahme, die in der EU-Aufnahmerichtlinie nicht vorgesehen ist.
Jenseits dieser europarechtlichen Probleme bleibt es bei der Kritik an der Ungleichbehandlung von Flüchtlingen, die hier zementiert wird.

  • Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre

Subsidiär geschützte Personen sind jene, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannte bzw. keinen Flüchtlingsstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben, die jedoch einen Aufenthaltsstatus erhalten, weil ihnen im Herkunftsland Tod, Folter oder ernsthafte Bedrohung drohen. Mit der Gesetzesänderung im August wurde ihr rechtlicher Status dem der anerkannten Flüchtlinge angepasst. Zwar handelt es sich aktuell um eine recht kleine Gruppe von Geflüchteten, bis Oktober erhielten im Jahr 2015 lediglich 1.366 Personen, vorrangig aus Eritrea und Afghanistan diesen Status. Allerdings ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Verweigerung des Familiennachzugs für jede und jeden Einzelnen eine extreme persönliche Härte darstellt, die auch schwerwiegende psychische Probleme zur Folge haben kann. Und gleichzeitig wurde wenige Tage nach der Verkündung des Papiers der Parteichefs deutlich, wohin die große Koalition steuert: als bekannt wurde, dass der Innenminister das BAMF angewiesen hat, Syrerinnen und Syrern vorrangig nur noch subsidiären Schutz zu gewähren. Zwar wurde diese Maßnahme eilig zurück genommen, es wurde dadurch jedoch deutlich, dass zumindest die Unions-Seite durchaus das Ziel verfolgt, Flüchtlingen massenhaft den Familiennachzug zu verwehren.
Dies hätte weitreichende Auswirkungen: Bereits jetzt ist zu beobachten, dass immer mehr Frauen und Kinder sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen. Die Verweigerung des Familiennachzugs wird – neben den beschriebenen Härten für diejenigen, die bereits hier sind – zur Folge haben, dass noch mehr Frauen und Kinder, Alte und Kranke sich auf den für sie besonders lebensgefährlichen Weg begeben.
Hinzu kommt, dass eine solche Maßnahme integrationsfeindlich ist. Einerseits ist gewollt, dass Asylsuchende in den Arbeitsmarkt integriert werden, andererseits wird ihnen aber mitgeteilt, dass ihre Familien in den Kriegsgebieten verbleiben müssen. Das ist nicht nur widersinnig sondern auch unmenschlich.

  • Eigenbeteiligung an den Integrationskursen aus dem soziokulturellen Existenzminimum für BezieherInnen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und nach SGB II

Auch diese Maßnahme ist als integrationsfeindlich einzustufen. Das soziokulturelle Existenzminimum dient der Sicherung der Teilhabe an der Gesellschaft. Gleichzeitig besteht nach Abschluss des Asylverfahrens für diejenigen, die einen Status erhalten haben, eine Teilnahmeverpflichtung, es sei denn, sie befinden sich in Ausbildung oder besuchen vergleichbare Kurse (§44a Aufenthaltsgesetz). Das bedeutet dann rein praktisch, dass diejenigen, die auf einen Integrationskurs angewiesen sind, Beschneidung des soziokulturellen Existenzminimums hinnehmen müssen, während diejenigen, die einen Kurs über die Bundesagentur für Arbeit erhalten, keine Einbußen haben. Diejenigen, die für den Arbeitsmarkt interessant scheinen, würden also besser gestellt als diejenigen, von denen dies nicht angenommen wird.

  • Schaffung einer Organisationseinheit des Bundes, die der Beschaffung von Papieren ausreisepflichtiger Personen dient, die Bundesländer sollen Ansprechpartner benennen und bei Bedarf Personal entsenden, außerdem sollen Vereinbarungen mit verschiedenen Ländern zur Ausstellung von Pass-Ersatz-Papieren getroffen werden.

Diese Einheit soll dazu dienen, Papiere ausreisepflichtiger Personen bei den Herkunftsländern zu beschaffen, da Personen ohne Papiere nicht rückgeführt bzw. abgeschoben werden können. Politisch ist dagegen nicht wirklich etwas einzuwenden, außer natürlich, dass das Instrument der Abschiebung nur das letzte Mittel sein darf. Sicher werden wir als LINKE uns hier nicht an die Spitze der Bewegung stellen, die bisherige Praxis, dass die Kommunen bzw. Länder sich vorrangig um das Besorgen der Papiere kümmern, ist jedenfalls nicht sinnvoll.
Die Vereinbarungen mit Ländern zur Ausstellung von Pass-Ersatz-Papieren zielen vor allem auch auf schnelle Abschiebungen. Mit den meisten Balkan-Staaten sind bereits solche Vereinbarungen getroffen. Diese sind Grundvoraussetzung für schnelle (Massen-)Abschiebungen, denn es steht zu befürchten, dass gar nicht erst versucht wird, Pässe im Herkunftsstaat zu besorgen sondern gleich auf den Passersatz gesetzt wird. Im Lichte der Registrierungszentren und des verkürzten Verfahrens dienen diese Vereinbarungen nur einem Zweck: schnelle Abschiebungen zu gewährleisten.

  • Erstellung ärztlicher Atteste im Zusammenhang mit Abschiebungen sollen gesetzlich geregelt werden

Gegen eine gesetzliche Regelung und Klarstellung ist erst einmal nichts einzuwenden. Es kommt an dieser Stelle auf die gesetzliche Ausgestaltung an. Es wird aber vermutlich darauf hinaus laufen, dass es nur noch bestimmte Ärzte gibt, die diese Atteste ausstellen dürfen.

  • Schutz der Außengrenzen wiederherstellen, illegale Schleusungen und Migration beenden, Dublin III wieder durchsetzen und weiter entwickeln, Fertigstellung Hotspots vorantreiben und sicher stellen, dass Registrierung und Verteilung von dort aus erfolgt und Verfahren „nicht Schutzbedürftiger“ dort erfolgen und diese zurück geführt werden, Verstärkung Frontex

Das ist nichts Neues zu dem, was wir kennen: Festung Europa ausbauen, Außengrenzen stärker abschotten, mit den Hotspots gleich in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge trennen usw. Weiterhin gibt es keine Ansätze zu sicheren Fluchtwegen, solidarischer finanzieller Lastenverteilung usw. Im Positionspapier des Parteivorstands ist eine ausführliche Positionierung dazu enthalten http://www.die-linke.de/partei/organe/parteivorstand/parteivorstand-2014-2016/beschluesse/zeit-zu-handeln-warum-wir-keine-fluechtlingskrise-sondern-eine-krise-der-sozialen-gerechtigkeit-haben/

  • Verhandlungen mit der Türkei mit dem Ziel, Drittstaatsangehörige dorthin zurück führen zu können, im Gegenzeug finanzielle Unterstützung zur Versorgung von Flüchtlingen, Visumfreiheit und Vereinbarung eines legalen Flüchtlingskontingents aus der Türkei für die EU

Im Kern ist das der Versuch, das Dublin-System auf die Türkei auszudehnen. Geld und Arbeitsmigration für Rücknahme von Flüchtlingen, die über die Türkei-Route gekommen sind. Diese Strategie verfolgt die EU nicht nur bei der Türkei sondern auch bei Staaten Nordafrikas, bspw. Tunesien und sie ist Bestandteil des Abschottungssystems. Die Logik ist einfach, Arbeitsmigration ermöglichen und Flüchtlinge gar nicht erst in die EU lassen und wenn doch, schnell zurück schicken.
Gleichzeitig dürfte ein solches Abkommen in der Folge als Argument genutzt werden, dass die Türkei sicherer Herkunftsstaat wird.

  • Militärisches Engagement in Afghanistan verlängern, innerstaatliche Fluchtalternativen aufbauen und verbessern, Entscheidungsgrundlagen des BAMF überarbeiten und Rückführungen intensivieren

Hier reden wir über Abschiebungen in ein Kriegsgebiet! Im Kern heißt das, es soll befriedete Zonen in Afghanistan geben, die dann als Begründung dafür herhalten, dass Afghaninnen und Afghanen nunmehr keinen Schutzstatus mehr erhalten und in die „befriedeten“ Zonen abgeschoben werden.

  • Integration – denjenigen, die Aufnahme finden, soll Integration ermöglicht werden durch Förderung des Erlernens der deutschen Sprache und Integration in den Arbeitsmarkt

Der Teil zur Integration umfasst ganze zehn Zeilen (inkl. Überschrift) des sechsseitigen Papiers. Außer einem allgemeinen Bekenntnis findet sich nichts. Keine einzige konkrete Maßnahme, während in allen anderen Abschnitten in der Regel sehr klare Vorstellungen existieren, was gemacht werden soll.

Positionspapier von CDU und CSU zur Asylpolitik

Eine Kurzeinschätzung

Hier meine erste Kurzeinschätzung zum gerade veröffentlichten und heute verabredeten “Positionspapier” von CDU und CSU zur weiteren Asylrechtsverschärfung. (Der Zeit geschuldet nur in Stichpunkten.)

Alle reden über Transitzonen, ja, diese sind abzulehnen. Weil sie, vor allem durch die Anlehnung an das Flughafenverfahren, Schnellverfahren bedeuten, die für diejenigen, die nicht aus Kriegsgebieten kommen, ein faires und sauberes Verfahren noch weiter einschränken. Gleichzeitig wird dadurch zu Erstaufnahme und Übergangswohnheimen eine weitere Unterbringungsform hinzugefügt, die den Verschiebebahnhof der Flüchtlinge in Deutschland ausweitetet mit dem einzige Ziel, möglichst viele Flüchtlinge gleich dort wieder los zu werden.

Im Papier sind aber noch diverse andere Sachen drin, die richtig Mist sind:
– Anrechnung der Integrationskurse auf das “soziokulturelle Existenzminimus” von Asylsuchenden – mit anderen Worten: Leistungskürzung
– Aussetzung des Familiennachzugs bei subsidiär Schutzberechtigten
– Beschleunigung von Asyl- und Rechtsmittelverfahren – mit letzterem dürfte die Einschränkung von Widersprüchen und Klagen bzw. die Verkürzung entsprechender Fristen drohen
– Intensivierung von Rückführungen und Abschiebungen
– stärkerer Schutz der Außengrenzen Europas – also weiterhin Abschottung mit der Konsequenz immer unsicherer Fluchtwege
– Schwäche von Dublin überwinden – dürfte bedeuten, es (verändert) wieder in Kraft zu setzen
– verstärkte Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei, wie “sicher” der Staat ist, haben wir ja gerade bei den Wahlen gesehen
– Rücknahmeabkommen mit Afghanistan und gleichzeitig Verlängerung des militärischen Engagements – da herrscht Krieg! Aber ist ja egal, da ist ja dann ganz viel Militär, da passiert den Menschen schon nix ...
– Rücknahmeabkommen mit Bangladesh und Effektivierung des Abkommens mit Pakistan – noch Fragen?
– Fertigstellung der Hotspots in Griechenland und Italien noch in diesem Jahr mit dem Ziel, gleich dort die “Schutzbedürftigkeit” festzustellen

Es gibt ansonsten genau einen Punkt, wo von der Bekämpfung der Fluchtursachen durch Entwicklungshilfe die Rede ist. Noch unklar in der Wirkung ist mir die Schaffung eines einheitlichen Flüchtlingsausweises. Das kann Vor- und Nachteile haben, muss man sich in der Umsetzung angucken.

Und dann gibt es im Papier noch unkonkrete Prosa zur Integration.

Also alles wie immer: Alles dafür tun, Flüchtlinge abzuschrecken und Europa abzuschotten und ansonsten versuchen, die, die es doch schaffen, so schnell wie möglich wieder los zu werden. Konkretes zu der eigentlich anstehenden Aufgabe, der Integration, gibt es nicht.

Johlige fragt...

Abdul T., der aus Syrien geflohen ist

Vor einigen Wochen hatte ich hier vermeldet, dass ich einem Geflüchteten aus Syrien bei seinem Verfahren beim BAMF helfen konnte, um seine Rückführung nach Ungarn zu verhindern. Ich freue mich sehr, dass Abdul bereit war, uns seine Fluchtgeschichte in einem Innterview zu erzählen. Dieses dokumentiere ich hier:
Flucht aus Syrien – ein Interview mit Abdul T.

Wir freuen uns sehr, dass das Interview mit Herrn Abdul T. aus Syrien zustande gekommen ist. Herr T. ist 33 Jahre alt, verheiratet und hat zwei kleine Töchter. Er hat die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige vor einigen Monaten kontaktiert und sie gebeten, ihn bei seinem Verfahren gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu unterstützen. Mittlerweile ist Herr T. als Flüchtling anerkannt und lebt mit einem Teil seiner Familie in einer Wohnung in Friedrichshain bei Döbern (Landkreis Spree-Neiße).

Herr T., bitte schildern Sie uns Ihr Leben vor dem Ausbruch des Krieges in Syrien. Was ist Ihr Beruf und wo haben Sie gearbeitet? Wie sah Ihr Alltag und der ihrer Familie aus?

Unsere große Familie hat in Ariha, einer Stadt mit ca. 50.000 Einwohnern zwischen Latakia und Allepo, gelebt. Mein Vater hat über 30 Jahre als Lehrer für Kunst und Design gearbeitet, und als Künstler bei der Stadtgestaltung mitgewirkt. Er war angesehen und geachtet. Ich habe einen Hochschulabschluss in Finanzwissenschaft und Banking, habe an einer Berufsschule als Lehrer gearbeitet und war auch im Bereich Designing tätig. Unsere Familie war wohlhabend, wir besaßen Wohneigentum, Autos, einen Designing-Shop im Stadtzentrum und eine Olivenplantage. Meine Brüder und ich lebten mit unseren Familien und unseren Eltern in einem großen Haus auf verschiedenen Etagen. Wir hatten alles was wir brauchten und waren mit unserem Leben sehr zufrieden.

Wie hat sich die Situation in Ihrer Heimatstadt und das Leben Ihrer Familie mit Beginn des Kriegs verändert?

Während des arabischen Frühlings formierte sich im April 2011 in unserer Stadt eine Gruppe von 15 – 20 Personen, vorwiegend Intellektuelle, um in friedlichen Demonstrationen demokratische Veränderungen zu fordern. Ich gehörte mit meinen Brüdern zu ihren Gründern. Wir demonstrierten friedlich, unbewaffnet, unabhängig von Parteien und äußeren Einflüssen. Unser Ziel war es, die Menschen aufzurütteln. Aus den ca. 20 Personen in der ersten Woche wurden in der zweiten Woche schon 200 – 300. Erst nach fünf Monaten wurden Forderungen nach Assads Sturz laut. Im August 2011 wurde ich zum militärischen Sicherheitsdienst vorgeladen, als Anführer registriert, verwarnt und mit einem Demonstrationsverbot belegt (das ich aber nicht einhielt). Mitte 2012 wurde Ariha als strategischer Punkt an der Autobahn zwischen Latakia und Allepo als eine von zwei Städten im ganzen Land vollständig von der Armee besetzt. Es herrschte militärische Willkür, Menschen wurden einfach so erschossen, darunter auch Freunde von mir. Auf vereinzelten bewaffneten Widerstand in der Bevölkerung reagierte die Armee mit grausamer Vergeltung.

Was war der Auslöser für Ihre Entscheidung, Syrien zu verlassen?

Nach Beschuss durch Panzer und Hubschrauber wurden Häuser in unserer Nachbarschaft zerstört. Es erfolgten wiederholt Hausdurchsuchungen, bei denen meine Festnahme und die meiner Brüder drohte. Da fassten wir den Entschluss, wir müssen weg von hier, egal wohin.

Herr T., wie haben Sie die weite Strecke nach Deutschland zurückgelegt, wie ist es Ihnen auf diesem Weg ergangen? Welche positiven und negativen Erlebnisse hatten Sie?

Wir verließen Ariha und überquerten zu Fuß illegal die Grenze zur Türkei, die so nahe ist, dass wir sie von unserem Haus aus sehen konnten. Wir gingen ohne Gepäck und nahmen nur Papiere, Geld und Schmuck mit. Zwei Jahre lang warteten wir in der Türkei, dass sich die Situation in Syrien ändert. Wir lebten dort unter sehr schwierigen Bedingungen, besonders mein 65-jähriger Vater hoffte sehnlichst auf eine Rückkehr, er war zu keiner weiteren Flucht bereit. Im August 2014 machte ich mich als ältester Sohn auf den beschwerlichen Weg nach Europa, den ich erst im April 2015 beenden konnte. Nicht vergessen kann ich die lebensgefährliche Überfahrt von der Türkei nach Griechenland, den Fußmarsch mit ständiger Furcht vor der Polizei, das Übernachten im Wald bei Temperaturen bis zu -11 Grad, meinen Gefängnisaufenthalt in Mazedonien und die menschenunwürdige Behandlung durch die Polizei in Ungarn. Den Weg von Budapest nach Passau konnte ich in einem Auto zurücklegen, von dort ging es weiter mit dem Zug über Nürnberg, Hannover und Berlin nach Eisenhüttenstadt.

War es Zufall, dass Sie Ihre Flucht nach Deutschland geführt hat oder stand die Bundesrepublik als Ziel von Anfang an fest?

Mein Ziel war ein Land, in dem Flüchtlinge menschenwürdig behandelt werden und Möglichkeiten zur Integration haben, ich dachte an Schweden, die Niederlande oder Deutschland. Da entfernte Verwandte in Deutschland leben und ich die Hoffnung auf ein Studium dort habe, entschied ich mich für Deutschland.

Was war Ihr erster Eindruck als Sie in Deutschland ankamen? Sind Sie gleich nach Brandenburg gekommen oder gab es weitere Stationen in Deutschland?

Mein erster Aufenthaltsort war Eisenhüttenstadt, dann ein Übergangswohnheim in Forst, von dort ging es in eine Wohnung in Friedrichshain bei Döbern (Landkreis Spree Neiße). Meine ersten Eindrücke von deutschen Menschen waren ein Mann aus Hamburg im Zug von Passau, er verhielt sich freundlich, interessierte sich und gab mir Hinweise für die Zugfahrt. Positive Eindrücke habe ich auch von deutschen Polizisten, die für mich unerwartet freundlich waren, und Menschen in Friedrichshain und Döbern, von denen ich Hilfe und Unterstützung in verschiedener Weise erhielt.

Welche Erwartungen haben Sie an ein Leben in Deutschland und welche Ängste haben Sie?

Ich habe keine Ängste, ich bin ein positiv denkender Mensch, der offen ist für die Zukunft. Ich möchte keine Ansprüche stellen und mir nichts schenken lassen, sondern mit meiner Familie ein Leben in Frieden und ohne Angst führen. Ich möchte studieren, damit mein Hochschulabschluss in Deutschland anerkannt wird und ich mit einer qualifizierten Arbeit meine Familie ernähren kann.

(Das Interview wurde in Döbern in englischer Sprache geführt von Norbert Höink.)

Wenn Hass gesellschaftsfähig wird ...

... und was man dagegen tun kann

Seit nun einem Jahr wird unsere Gesellschaft durch PEgidA heimgesucht. Was anfänglichs im politischen Diskurs eher als Randerscheinung in Sachsen behandelt wurde, weil eine Ausdehnung in andere Bundesländer kläglich scheiterte, was zwischendurch tot gesagt war, weil es kaum noch 500 Menschen auf die Straße bekam, hat in den vergangenen Wochen wieder neuen Zulauf erhalten: die gefährlich Ansammlung von Rechtspopulisten und Neonazis im Verbund mit enttäuschten und frustrierten und dem Rechtspopulismus offenen BürgerInnen.

Was sich verharmlosend als “besorgte Bürger” bezeichnet hat, hat sich unübersehbar, unter dem Label PEgidA radikalisiert. Längst wird unverhohlen von Geflüchtleten als “Pack”, “Viehzeug” und “Invasoren” gesprochen und werden Politiker als “Volksverräter” und “Wahnsinnige” betitelt. Längst werden die HelferInnen der geflüchteten Menschen verhöhnt, beleidigt und beschimpft, längst sind Medien nur noch “Lügenpresse”. Ja, diese Rhetorik erinnert an sehr dunkle Zeiten. Und auch das, was daraus erwächst, denn Sprache beeinflusst das Denken, Sprache beeinflusst politischen Diskurs und Sprache beeinflusst eben auch die Stimmung in der Bevölkerung. Ein Jahr PEgidA hat – assistiert von AfD, NPD & Co – zur Verrohung der politischen Kultur geführt sowie zu einer Polarisierung und Radikalisierung des gesellschaftlichen Diskurses in diesem Land – nicht nur in Sachsen – überall von Bayern bis Mecklenburg-Vorpommern.

Und: Dieser Hass, der in weite Teile der Bevölkerung gepflanzt wurde, trägt Früchte. Es bleibt eben nicht bei verbaler Gewalt. Diese verbale Gewalt führt geradewegs zu brennenden Flüchtlingsunterkünften, Anschlägen auf FlüchtlingshelferInnen und nun auch zu einem Mordversuch an einer Politikerin. PEgidA, AfD, NPD & Co wollen damit natürlich nichts zu tun haben. Aber: Ein gebastelter Galgen, reserviert für Angela Merkel und Sigmar Gabriel, der von den Initiatoren einer Demonstration geduldet wird, ist eben auch eine Aufforderung zum politischen Mord. Und die Aufforderung, Politiker aus dem Land zu jagen oder abzuschieben, wird Handlungen und Taten zur Folge haben.

Es ist offensichtlich: Der Hass des Wortes wird zum Hass der Straße und dieser Hass führt zur Tat. Und die Taten gibt es seit Monaten. Über Schmierereien, Hassparolen, Steinwürfe, Angriffe auf Büros von PolitikerInnen reden wir kaum noch, weil es quasi normal geworden ist in unserem Alltag. Und: provozierend könnte man sagen: Brandstiftung ist mittlerweile Volkssport, kaum noch eine überregionale Nachricht wert… Brennende unbewohnte und bewohnte Flüchtlingsunterkünfte, Brandanschläge auf das Auto eines Politikers oder auf die Scheune von FlüchtlingshelferInnen, scheinbar Alltag. Sicher, die Zivilgesellschaft war entsetzt und es gab viel Solidarität. Und doch ist da die schweigende Mehrheit, die nichts dazu sagt. Unserer Zivilgesellschaft gelingt es aktuell nicht, ein Klima der Ächtung solcher Taten zu erzeugen und das ist das eigentlich gefährliche. Hier werden die Grundwerte unseres Zusammenlebens erschüttert. Es ist nicht mehr so, dass “man sowas einfach nicht macht”. Nachdem in Nauen eine als Flüchtlingsunterkunft geplante Turnhalle abbrannte, wurden NauenerInnen befragt, einer sagte: “Das ist mir egal, was wollen die auch hier?” Schulterzucken, ob einer schweren Straftat, statt Ächtung und Entsetzen.

Eine neue Eskalationsstufe ist mit dem Mordanschlag auf die Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker erreicht worden. Nach über einem Jahr Hetze und Hass ist die Hemmschwellen so weit gesunken, dass auch politischer Mord Mittel einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu werden droht.

Und gleichzeitig gibt es einen gesellschaftlichen Diskurs um die vermeintliche Kriminalität, die von Flüchtlingen ausgeht. Was kaum eine Rolle spielt in der Debatte, ist der Anstieg der von Deutschen verursachten Kriminalität vor allem bei politisch motivierten Straftaten, Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Brandanschlägen, Körperverletzungen usw. Aber: Sind die diffusen Ängste “besorgter” BürgerInnen vor sozialem Abstieg und vermeintlicher Kriminalität wirklich wichtiger als die realen Ängste von Flüchtlingen und FlüchtlingshelferInnen, Opfer einer Gewalttat zu werden? PEgidA hat auch hier etwas angerichtet: Die Verschiebung der Wahrnehmung und der Bewertung von Straftaten. Da wird ein Ladendiebstahl eines Migranten zum Skandal während zum Brandanschlag oder zur Körperverletzung keine Debatte stattfindet.

Egal, wie man PEgidA charakterisieren möchte: Diese “Bewegung” ist durchaus erfolgreich. Es ist egal, wie viele Menschen sie noch auf die Straße bekommen. Fakt jedoch ist, diese “Bewegung” ist erfolgreich, weil sie dieses Land verändert hat, weil sie Hass salonfähig gemacht und dadurch die Gesellschaft gespalten hat.

Angesichts dieser Wucht des Hasses sind Politik und Zivilgesellschaft nicht selten überfordert. Politik hat selbst einen Anteil daran, dass dieser Hass gesellschaftsfähig geworden ist. Statt klarer Ächtung gab es Gesprächsangebote. Statt klarer Ab- und Ausgrenzung, hat erst in der vergangenen Woche ein offizielles Treffen eines SPD-Landrats mit den Hetzern der AfD im Brandenburger Landtag statt gefunden. Und statt klarer Ablehnung der Positionen sehen wir ein inhaltliches Zugehen, die Übernahme von Inhalten und die Umsetzen in praktische Politik, wie es erst in der vergangenen Woche durch die Asylrechtsverschärfungen geschehen ist. Die große Koalition hat kapituliert vor PEgidA & Co und übersieht dabei, dass diese auf Ausgrenzung, Abschreckung und Abschottung angelegte Politik nur als Bestätigung dieser “Bewegung” gewertet wird. Das politische Spektrum hat sich – ohne nennenswerte Gegenwehr der politischen Parteien – sehr weit nach rechts verschoben. Positionen, die vor zwei Jahren deutlich im rechtsradikalen Spektrum zu verorten waren, sind nun Politik der Regierungspartei CSU und eine Kanzlerin, die das individuelle Recht auf Asyl verteidigt, gerät in der christlichen (!) CDU an den linken Rand. Und die Grünen enthalten sich bei der größten Asylrechtsverschärfung seit mehr als 20 Jahren und ein Aufschrei in der Partei bleibt weitgehend aus. Das ist die Realität nach einem Jahr PEgidA. Und ehrlich: Mir wird Angst, wie weit CDU, CSU, SPD und Grüne noch bereit sind zu gehen, wie viele Positionen sie noch aufgeben werden, angesichts des geballten Hasses.

Und die solidarische Zivilgesellschaft? Sie macht aktuell den besten Job. Sie handelt und hilft, wo nötig, springt ein, wenn staatliches Handeln nicht ausreicht und stellt sich mutig PEgidA und Nazis aller Coleur entgegen. Sie verteidigt die Grundfesten unseres Zusammenlebens und tut einfach das Richtige. Sie zeigt damit auch der Politik den zu beschreitenden Weg: Um PEgidA, AfD, NPD & Co. das Wasser abzugraben, hilft nur, die Werte, die unsere Gesellschaft und die unser Zusammenleben begründen zu stärken: Solidarität, Weltoffenheit, Toleranz. Politik muss denen Einhalt gebieten, die den Hass auf die Straße, in die Wohnzimmer und die Kneipen tragen, Politik muss Verantwortung übernehmen für uns alle, nicht nur für eine Schar „besorgter BürgerInnen“. Politik muss den Tausenden, die überall in diesem Land teils bis an den Rand der eigenen Leistungsfähigkeit helfen und muss ihnen die nötige Unterstützung zukommen lassen. Die Konzentration auf die Verschärfungen des Asylrechts muss der Konzentration auf menschenwürdige Unterbringung und Integration von Flüchtlingen weichen. Politik muss dafür sorgen, dass die Verwaltungen so gestärkt werden, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sind. Sie muss dafür sorgen, dass vorhandene soziale Konflikte sich nicht verstärken, indem sie Mobilität, sozialen Wohnungsbau und Investitionen in Bildung verbessert. Politik muss deutlich machen, dass dieses Land sehr wohl in der Lage ist, den zu uns flüchtenden Menschen eine Lebensperspektive zu geben und sie muss endlich aufhören über “Belastungsgrenzen” zu reden. Sie muss deutlich machen, dass die Menschen, die zu uns flüchten, eine Chance für dieses Land sind: in sozialer, kultureller und auch wirtschaftlicher Hinsicht.

Ich bin der festen Überzeugung: dem Hass und der Verrohung kann man nur Menschlichkeit und Solidarität im Denken, im Reden und im Handeln entgegen setzen.

Können wir das schaffen?

Yo, wir schaffen das!

Aktuell wird viel darüber geredet, ob Frau Merkel mit ihrem Satz “Wir schaffen das!” in Bezug auf die große Herausforderung der Unterbringung, Versorgung und Integration der zu uns flüchtenden Menschen, Recht hat.

Immer, wenn ich Beiträge zu dieser Debatte höre oder lese, fühle ich mich an eine Fernsehserie erinnert, die mein Sohn, als er klein war, gern geschaut hat: Bob der Baumeister. Bob und seine Freundin Wendy stehen immer wieder vor besonderen, neuen, noch nicht da gewesenen Aufgaben, von denen man eigentlich glaubt, dass die beiden und ihr Team aus diversen Baumaschinen sie nicht bewältigen können. Und dann fragt Bob sein Team: “Können wir das schaffen?” Und das Team antwortet: “Yo, wir schaffen das!” Und dann beginnt das Planen, wie man das bewältigen kann und wenn der Plan steht, folgt ein intensives Gewusel, jede Baumaschine macht das, was sie am besten kann und gelernt hat, alle arbeiten hart, manchmal passieren auch Fehler und kleinere oder größere Katastrophen, und manchmal geraten auch zwei aneinander und vertragen sich wieder, es gibt auch mal Störungen von außen, wenn einer nicht klar kommt hilft ein anderer und alle ziehen an einem Strang und versuchen gemeinsam auf das Ziel hinzuarbeiten. Am Ende – dafür ist es dann auch eine Kinderserie – steht immer der Erfolg und die eigentlich unlösbare Aufgabe ist bewältigt. Alle haben es gemeinsam geschafft.

Nun ist das Leben kein Kinderfilm und die Gesellschaft kein Team aus Baumaschinen. Und dennoch muss ich aktuell häufig an den Satz “Yo, wir schaffen das!” denken. Die große, unlösbar scheinende Aufgabe ist die Unterbringung, Versorgung und Integration der zu uns flüchtenden Menschen. Frau Merkel hat nicht gefragt, ob wir das schaffen, sondern mit ihrem Satz “Wir schaffen das!” klar gemacht, dass wir alle gemeinsam die Herausforderung annehmen müssen. Nun braucht es einen Plan. Den gibt es bisher nur zum Teil. Das ist richtig. Und dennoch gibt es das Team, das es braucht, um die Aufgabe zu lösen: Die Politik, die Verwaltung, die Zivilgesellschaft – uns alle. Und wenn jetzt jeder das macht, wofür er da ist und was er am besten kann, dann wird immer noch einiges schief gehen und wir werden auch Fehler machen, wir werden uns streiten um den richtigen Weg und wir werden einander helfen müssen, wenn es mal nicht weiter geht. Und es wird Störungen geben, von denen, die nicht mitmachen wollen. Aber wenn wir uns nicht gegenseitig das Leben schwer machen, uns nicht vorwerfen, was der andere hätte anders machen müssen und wir einfach alle unseren Job machen anstatt über Zuständigkeiten zu streiten, nun, dann können wir das schaffen. Weniger lamentieren, was alles nicht geht und mehr ausprobieren, was geht, das hilft uns aktuell wirklich.

Und es gibt diejenigen, die genau das bereits tun: Die vielen Ehrenamtlichen vor Ort, die jeden Tag das Nötige tun, um den zu uns geflüchteten Menschen beim Ankommen zu helfen, das Notwendige organisieren und besorgen, Spenden sammeln, Willkommensfeste vorbereiten, Sprachkurse durchführen, einspringen, wenn es irgendwo hakt und einfach da sind, wenn sie gebraucht werden. Die Hilfsorganisationen und freien Träger, die in kürzester Zeit die Strukturen aufbauen, um Unterkünfte zu betreiben und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schuften, um Versorgung und Betreuung zu organisieren. Die Verwaltungen in Kreisen und Kommunen, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter alles versuchen, den Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterkunft zu besorgen, die versuchen die verschiedenen Akteure zu koordinieren und Integration in Bildung und Arbeit zu ermöglichen. Die Vereine vor Ort, die Refugees aufnehmen und in die Arbeit integrieren, die kommunalen und privaten Vermieter, die Wohnraum bereit stellen, die Unternehmen, die versuchen Arbeit und Ausbildung zu geben, die Schulen und Kitas, die den Kindern mit großem Engagement Sprache beibringen und sie in den Alltag integrieren.

Integration – und das ist die große Aufgabe, der wir uns gerade gemeinsam stellen – findet statt. Jeden Tag, überall in diesem Land! Diese Aufgabe ist eine gesamtgesellschaftliche, wir alle müssen uns dieser stellen und an einem Strang ziehen. Es hilft uns nicht, über angebliche “Aufnahmekapazitäten” und willkürliche “Obergrenzen” zu lamentieren. Die Fluchtbewegung, die gerade stattfindet, haben wir selbst mit verursacht: durch unser Konsumverhalten, wo das “billig” wichtiger ist als das “wie, von wem und unter welchen Bedingungen” wurde es hergestellt; durch unsere wirtschaftlichen Interessen, die überall auf der Welt mit Hilfe internationaler Konzerne ganzen Regionen und Ländern die Lebensgrundlagen entziehen; durch unsere Kriege, mit denen wir wirtschaftliche Interessen unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung durchsetzen; durch unsere Waffenexporte, mit denen deutsche Firmen massig Geld verdienen und die am Ende eben doch dazu führen, dass mit diesen Waffen Menschen ermordet werden und auch mit unserer ökologischen Bilanz, die den Klimawandel vorantreibt und für Wetterextreme sorgt, die Jahrhunderte gewachsene Ökosysteme zerstört. All dies sind die Ursachen dafür, das Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Und all dies haben wir mit verursacht.

Wir können natürlich versuchen, uns den Folgen zu entziehen. Europa und auch Deutschland versucht das seit vielen Jahren durch Abschottung und Abschreckung. Allein, das wird nicht helfen. Wir können die Mauern und Zäune noch höher bauen. Wir können die Leistungen einschränken und das Asylrecht verschärfen. Den Menschen, die flüchten müssen, wird all dies herzlich egal sein. Wem das Haus weggebombt wurde, wer Angst um das Leben seiner Kinder hat, wer durch Afrikas Wüste gegangen und das Mittelmeer überquert hat, wird sich von Leistungseinschränkungen und Zäunen nicht abhalten lassen. Die Menschen kommen zu uns und der allergrößte Teil von ihnen hat dafür gute Gründe. Wir können davon ausgehen, dass deutlich mehr als die Hälfte derjenigen, die aktuell zu uns kommen, auf Dauer bei uns bleiben wird. Und deshalb tun wir gut daran, zu verstehen, dass dies Menschen sind, die zwar erst einmal unsere Hilfe brauchen, die aber vor allem hoch motiviert sind, für sich und ihre Familien eine Lebensperspektive aufzubauen.

Natürlich wird sich Brandenburg, wird sich Deutschland dadurch verändern. Und das wird auch gewisse Auswirkungen auf unser aller Leben haben. Veränderungen machen Angst und verunsichern. Das ist völlig normal. Und gleichzeitig bieten Veränderungen auch immer Chancen und neue Perspektiven: kulturell, wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch. Und diese Perspektiven können und müssen gestaltet werden.

Um wieder auf Bob der Baumeister zurück zu kommen: Ich wünsche mir, dass wir alle in der aktuellen Situation unseren Job machen, weniger danach fragen, ob wir diese große Herausforderung der Unterbringung, Versorgung und Integration der Asylsuchenden stemmen können sondern wir vielmehr gemeinsam darüber reden, wie wir diesen Prozess gestalten und die Ärmel hochkrempeln und es einfach gemeinsam tun. Die Zivilgesellschaft ist da in weiten Teilen bereits weiter als die Politik. Und ich ärgere mich wirklich, wenn Politik sich vor allem darum kümmert, sich alles mögliche auszudenken, wie man Flüchtlinge möglichst schnell wieder los wird und lieber gesellschaftliche Stimmungen gegen Flüchtlinge anheizt, anstatt die aktuelle Herausforderung anzunehmen.

Politik ist gefordert, einerseits die Fluchtursachen zu bekämpfen, damit wenigstens mittel- und langfristig niemand mehr gezwungen ist, den Ort, an dem er am liebsten leben will – sein Zuhause – zu verlassen. Und andererseits ist Politik gefordert,  die Rahmenbedingungen hier bei uns im Land und vor Ort zu gestalten und zu verbessern. Das ist unser Job als Politikerinnen und Politiker! Und der ist gerade in dieser Situation – ebenso wie für alle anderen Akteure – nicht gerade leicht: Wir müssen die Bedingungen schaffen, mit denen neben der Unterbringung die Integration in Bildung, Ausbildung und Arbeit gelingt, wir müssen die Jugendhilfe stärken, um den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gerecht zu werden, wir müssen politische und gesellschaftliche Teilhabe für die zu uns Kommenden organisieren und die seit Jahren bestehenden Probleme bei der Wohnungssituation und der Mobilität anpacken.

Es geht um nicht weniger als allen – denjenigen, die hier leben wie auch denjenigen, die zu uns kommen – Lebensperspektiven zu eröffnen. Und damit haben wir als Politikerinnen und Politiker wahrlich genug zu tun! Und wenn wir genau dies tun, können wir, gemeinsam mit den vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren, mit den Verwaltungen, Vereinen, Verbänden, den Bildungseinrichtungen und den Unternehmen, also mit unserem Team, voller Hoffnung auf die Frage von Bob dem Baumeister antworten: “Yo, wir schaffen das!”

Bildungsreise europäisches Grenzregime

Tag 5: Jahrestag Lampedusa

Vom 29.9. bis 4.10.2015 bin ich auf Bildungsreise zum EU-Grenzregime in Tunis und Palermo.

Am 3. Oktober 2013 ging vor Lampedusa ein Schiff mit ca. 550 Flüchtlingen unter, nur 155 konnten gerettet werden. Während in Deutschland der 3. Oktober nur als Tag der deutschen Einheit wahrgenommen wird, ist der Jahrestag dieser Katastrophe in der italienischen Politik präsent. So stand dieser Tag der Reise auch ganz im Zeichen dieses Jahrestags.

Dieser letzte Tag der Reise begann in Palermo mit einer Diskussion mit zwei Vertretern von NGO´s – Borderline Sizilien und Emergency – die sich mit dem Monitoring von MIgrationsbewegungen und der kritischen Beobachtung von Polizei und Justiz im Umgang mit MigrantInnen sowie mit der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen beschäftigen. Beide Diskussionspartner sind mit großem Engagement dabei, MigrantInnen zu schützen und ihnen Unterstützung zu geben. Gleichzeitig wurde deutlich, wie viel Kraft sie investieren müssen, um gegen staatliche Hürden anzukämpfen.

Dem schloss sich eine Diskussionsrunde mit dem sizilianischen Politiker Erasmo Palazzotto von der Sinistra Ecologia Libertà (2009 gegründete linksgerichtete und ökologische italienische Partei) und Yodit Abraha, der Leiterin eines kommunalen Flüchtlingszentrums in Palermo, die vor etwa zehn Jahren selbst aus Eritrea nach Italien kam, sowie dem Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Landtag Sachsen-Anhalt, Wulf Gallert, an. Anlass der Podiumsdiskussion war der 2. Jahrestag der Katastrophe vor Lampedusa. Im Mittelpunkt standen die Ursachen der derzeitigen Flüchtlingssituation und die notwendigen Antworten der Europäischen Union darauf.

Erasmo Palazzotto macht fünf Forderungen an die europäische Politik auf, die ich hier dokumentieren will, weil sie zeigen, dass es in der migrationspolitischen Debatte sehr viel Übereinstimmung mit den Debatten der deutschen LINKEN gibt:

  • Legale Flucht- bzw. Zugangswege nach Europa, bspw. über humanitäre Visa, die im Herkunfts- oder einem Anrainerstaat beantragt werden können, keine Aufteilung von Flüchtlingen in „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Kriegsflüchtlinge“
  • Sofortige Abschaffung von Dublin
  • Europäisches Asylgesetz – wir brauchen gleiche Standards und Verfahren
  • Außerordentlicher europäischer Aufnahmeplan finanziert durch europäische Fonds
  • Entwicklungspolitik verändern, weg von wirtschaftlichen Interessen in der Entwicklungspolitik hin zu Hilfe zur Selbsthilfe, Ernährungssouveränität (statt Ernährungssicherheit) und nachhaltiger ökologischer Entwicklung in den armen Ländern

Danach trafen wir uns mit dem Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando. Der in Europa als Mafiajäger bekannte Politiker hat mit der Charta von Palermo ein radikales Papier gegen Ausgrenzung und für eine menschliche Aufnahme von Flüchtlingen ohne Bedingungen entwickelt und in der Stadt Palermo mehrheitsfähig gemacht. Damit unterscheidet er sich nicht nur im Anspruch sondern auch im politischen Wirken fundamental von dem Mainstream deutscher Politik. Die Carta ist hier als PDF hinterlegt.

Letzter offizieller Termin war der Besuch unserer Delegation beim Rat der Kulturen. Dieses Gremium setzt sich aus gewählten VertreterInnen aller in Palermo aktiven MigrantInnengruppen zusammen. Diese nutzten die Gelegenheit, die PolitikerInnen aus Deutschland ausführlich nach der Position der Bundesregierung und der Haltung der deutschen Linken zu fragen. Und es passierte das, was uns oft auf diesre Reise passierte: Aus der ursprünglich geplanten Stunde wurden durch die intensive Diskussion zwei Stunden.

Zum Abschluss der Reise folgte noch ein gemeinsames Abendessen im Gästehaus der Stadt Palermo.

 

Es wird sicher eine ganze Weile dauern, bis ich alle Eindrücke der Reise verarbeitet habe. Es waren fünf sehr intensive Tage, voll mit politischen Debatten und Informationen zur Situation von MigrantInnen in Europa und der EU-Politik. Auch emotional schwer zu verarbeitende Dinge waren dabei. Wir werden nun die Aufgabe haben, daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen.

Bildungsreise europäisches Grenzregime

Tag 4: Unterbringung in Italien

Vom 29.9. bis 4.10.2015 bin ich auf Bildungsreise zum EU-Grenzregime in Tunis und Palermo. In der Nacht sind wir mit der Fähre von Tunis nach Palermo zum europäischen Teil der Reise gelangt.

Heute standen dann verschiedene Termine auf dem Programm, die sich mit den unterschiedlichen Formen der Unterbringung beschäftigten. Es gibt in Italien verschiedene Formen der Unterbringung von Asylsuchenden. Es gibt Erstaufnahmezentren, wohin die Flüchtlinge zuerst kommen und die vergleichbar sind mit den Übergangswohnheimen. Hier bleiben die Flüchtlinge einige Monate, bevor sie in kommunal verwaltete Unterkünfte mit jeweils wenigen Plätzen, vergleichbar mit Wohngemeinschaften oder kleinen Übergangswohnheimen, weiter geleitet werden.

Wir besuchten jeweils eine solche Einrichtung. Es ist zu vermuten, dass diese ebenso wie in Deutschland eine unterschiedliche Qualität haben. Die, die wir besucht haben, waren wirklich gut.

Das Erstaufnahmezentrum war bis Dezember 2014 ein Hotel. Die Asylsuchenden erhalten pro Tag 2,50 Euro Taschengeld, in der Erstaufnahmeeinrichtung erhalten sie Kleidung, hygienische Artikel und Verpflegung (Wahlessen). Träger ist eine soziale Genossenschaft. Es gibt Sprachkurse, sportliche Betätigungsmöglichkeiten und Freizeitangebote. In den Zimmern wohnen je nach Größe zwischen 4 bis 6 Personen.

Die kleine kommunale Unterkunft ist organisiert als Wohngemeinschaft mit 8 Personen in einem Gebäude, das früher als psychiatrische Klinik genutzt wurde. Unter der WG gibt es ein Theater, das selbst gebaut ist und intensiv genutzt wird. Es soll die Chance bieten, dass die MigrantInnen in der Mitte der Gesellschaft ankommen und auch ein kulturelles Umfeld bekommen.

So. Das war der positive Teil des Tages. Vorher besuchten wir eine Abschiebeeinrichtung. Diese Einrichtung soll künftig ein sogenannter Hotspot der EU werden. Ich habe in Deutschland schon viele Sachen gesehen. Und ich wusste auch im Groben, was diese Einrichtungen sind. Aber ganz ehrlich, das, was uns da erwartete, war richtig heftig. In Italien sollen eigentlich in solchen Einrichtungen nur Menschen untergebracht werden, die in allen Instanzen abgelehnt wurden. Teile unserer Delegation konnten allerdings mit den (wenigen) Insassen sprechen. Diese stammten ausnahmslos aus Marokko und waren zum größten Teil direkt nach der Landung mit einem Boot dort festgesetzt worden. Ca. 20 von ihnen waren bei unserem Besuch dort: Wenige Tage vorher hatten ca. 80 Menschen einen Ausbruch aus dieser Einrichtung gestartet – mit Erfolg. Denjenigen, die dort verblieben sind, soll, so sagen sie, in der Folge körperliche Gewalt seitens des Sicherheitspersonals angetan worden sein, möglicherweise als Reaktion auf den Ausbruch. Aus Gründen des Schutzes derjenigen, die uns dort erzählt haben, wie es ihnen erging, schreibe ich dazu hier nicht mehr. Der Besuch in dieser Einrichtung hat jedoch zwei Sachen klar zu Tage treten lassen:

  1. In diesem Abschiebezentrum herrschen menschenunwürdige Zustände
  2. die Menschen werden hier auch teils völlig rechtswidrig eingewiesen.

Ich denke, diesen Bereich, der ganz klar etwas mit europäischer Politik zu tun hat, müssen wir politisch bearbeiten. Die gesamte Delegation haben die Eindrücke dieses Besuchs ziemlich heftig aus der Bahn geworfen.

Ich habe (trotz Fotografierverbots) einige Fotos gemacht weil ich glaube, dass Europa diese Bilder zur Kenntnis nehmen muss. Sie sind ganz klar ein Symbol dessen, was europäische Asylpolitik ausmacht: Abschreckung und Abschottung.

Bildungsreise europäisches Grenzregime

Tag 3: Gespräche mit NGOs

Vom 29.9. bis 4.10.2015 bin ich auf Bildungsreise zum EU-Grenzregime in Tunis und Palermo. Hier folgt nun ein Kurzbericht vom Tag 3, der voll gepackt war mit Gesprächen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das war ein ganz klarer Gegenpol zum vorangegangenen Tag, wo wir nur mit “offiziellen” Institutionen zu tun hatten. Die Einschätzungen gehen denn auch stark auseinander und wir haben heute von den NGOs sehr viele Informationen bekommen, die uns die “Offiziellen” gestern nicht gegeben haben.

Der Tag begann mit einem Gespräch im Maison du Droit et des Migration (Haus der Rechte und der Migration) mit Anais ElBassil. Die Arbeit findet seit 2012 in Tunesien statt und es gibt eine starke Kooperation mit Migrantenselbstorganisationen. Das Haus soll als Ort dienen, wo man sich über Migration informieren und bilden kann und wo Informationen über Migration in der Region gesammelt werden. Seit Juni 2014 gibt es auch ein Tageszentrum für Flüchtlinge im Haus, wo Beratung und Assistenz im Alltag gegeben wird. In Tunesien sind die Rechte der Asylsuchenden sehr gering, die MitarbeiterInnen helfen ihnen in allen Lebensbereichen und auch juristisch. Außerdem werden alle Einzelfälle dokumentiert, wodurch auch ein Archiv der Menschenrechtsverletzungen in Tunesien aufgebaut wird.

Es wurde deutlich, dass eigentlich niemand weß, wie viele MigrantInnen aktuell in Tunesien leben. Probleme entstehen vor allem dadurch, dass es kein Asylrecht gibt. Dadurch ist es sehr schwer eine Arbeitserlaubnis bzw. einen legalen Aufenthaltsstatus zu bekommen. MigrantInnen sind im Alltag „unsichtbar“, bloß nicht auffallen, da die meisten einen irregulären Status haben. Ein großes Problem sind zudem Frauen und Mädchen, die nach Tunesien geholt werden und die in Familien arbeiten müssen, wenn diese später ausreisen wollen müssen sie pro Woche, die sie irregulär in Tunesien waren, 20 Dinar zahlen, das können sie nicht und müssen deshalb irregulär bleiben.

Der zweite Termin führte uns ins Haus des Tunesischen Forums für ökonomische und soziale Rechte (FTDES). Dort trafen wir uns zuerst mit Müttern auf der Flucht verschollener Migranten. Es war ein extrem emotionales Treffen. Die Frauen kämpfen seit März 2011 darum, von den tunesischen und italienischen Behörden etwas über das Schicksal ihrer Söhne zu erfahren. Sie sind überzeugt, dass die Söhne das italienische Festland sicher erreicht haben, dann aber in Italien verschwunden sind. Ich kann nicht wirklich einschätzen, was mit den Söhnen passiert ist. Ich kann aber mitfühlen, wie schrecklich es sein muss, wenn man nicht weiß, ob der Sohn noch lebt oder im Mittelmeer gestorben ist.

Nach dem Gespräch mit den Müttern der verschollenen Migranten sprachen wir mit Abderrahmane Hedhili, dem Direktor des Tunesischen Forums für ökonomische und soziale Rechte (FTDES). Dieses Forum ist eine zivilgeselschaftliche Organisation, die sich mit Flucht auseinandersetzt. Sie geben bspw. den Müttern eine Stimme, beschäftigen sich aber auch mit den sozioökonomischen und gesellschaftlichen Ursachen von Flucht. Herr Hedhili machte deutlich, dass die Fluchtbewegung aus Tunesien nach Deutschland vor allem kurz nach dem Tunesischen Frühling am größten war. Er sagte, er sei davon überrascht, da er eigentlich davon ausging, dass die Revolution Hoffnung gibt. Viele derjenigen, die auf der Straße waren, sind ausgereist, in der Zeit gab es kaum staatliche Ordnung, was den Ausreisewilligen zu Gute kam. Man spreche davon, dass der Tunesischer Frühling direkt zu Lampedusa führte. Die Hauptgründe für die Flucht junger Tunesier seien wirtschaftliche und soziale Gründe, 55% der migrierenden Jugendlichen kommen aus den ärmeren Vierteln um Tunis herum, die restlichen aus den armen Regionen Tunesiens, 25% sind Schüler.

Hinzu kommt: Niemandem war klar, wie groß der islamistische Einfluss auf die Jugend ist, 40% der Jugendlichen in den ärmeren Vierteln unterstützen ISIS. Er sagte wörtlich: Wer arm und jung ist geht entweder zu ISIS oder nach Europa. Deshalb brauche es dringend einen Ausbau des Sozialstaates. Mit Herrn Hedhili hatten wir eine sehr intensive Diskussion. Es half sehr, die vorher erlebten Dinge einzuordnen.

Bildungsreise europäisches Grenzregime

Tag 2: Diverse Gespräche

Vom 29.9. bis 4.10.2015 bin ich auf Bildungsreise zum EU-Grenzregime in Tunis und Palermo. Hier nun eine erste Einschätzung der Gespräche, die am zweiten Tag der Reise stattgefunden haben. Ein Teil der Gespräche war zumindest zu einem gewissen Teil vertraulich gehalten, so dass hier auch nicht alles zur Sprache kommen kann, was in den Gesprächen eine Rolle gespielt hat.

Der Tag begann mit einem Gespräch beim UNHCR mit Herrn Nabil Benbekhti. Das UNHCR kümmert sich um Flüchtlinge in Tunesien, die durch diese Organisation auch eine Anerkenung als Flüchtling erhalten können. Mangels Gesetzgebung in Tunesien ist dies jedoch kein offizieller Status, wobei es ein Agreement mit dem tunesischen Staat gibt, dass die duch das UNHCR anerkannten Flüchtlinge keine Verfolgung zu befürchten haben. Flüchtlinge in Tunesien haben Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und die Kinder können eine Schule besuchen. Allerdings gibt es bei illegal Eingereisten keine Arbeitserlaubnis und auch keine klaren Regelungen zur Aufenthaltserlaubnis. In Tunesien wurden in er Vergangenheit ca. 1 Million Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen, die mittlerweile gut integriert sind. In der aktuellen Situation sorgt jedoch vor allem die fehlende Asylgesetzgebung für Probleme.

Der zweite Termin des Tages führte uns zum Staatsminister für Migration und soziale Integration, Herrn Belgacem Sabri. Er erklärte uns, dass die Migrationspolitik von Tunesien folgenden Linien folge:

  • Verteidigen des Rechts aller auf gleiche Behandlung und sozialen Schutz
  • Arbeit an Reform für einen Grundstein sozialer Sicherheit und gegen Armut
  • Integration von Flüchtlingen durch lokale und nationale Projekte

Er erläuterte, dass es verschiedene Fluchtgründe gäbe, die kurz zusammengefasst festzumachen sind an folgenden Bereichen:

  • Mangelnde Lebensperspektiven
  • Ungleiche Verteilung der Ressourcen
  • Politische Gründe
  • Ethnische Gründe

Im Endeffekt suchten Flüchtlinge Schutz und Sicherheit. Nur ein kleiner Teil wolle tatsächlich in Tunesien bleiben. Aktuell plane die Regierung eine Modernisierung bzw. Einführung eines Einwanderungsrechts, das vor allem den Status von Flüchtlingen in Tunesien klärt. Es fehlt bisher eine gesetzliche Grundlage für die Aufnahme von und den Umgang mit Flüchtlingen, die nun geschaffen werden soll. Der Entwurf wird in wenigen Wochen vorgelegt, Zielstellung ist die gleiche Behandlung von MigrantInnen und TunesierInnen. Außerdem plant die Regierung ein Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels, das kurz vor der Verabschiedung steht.

Herr Sabri machte deutlich, dass aktuell eine wirtschaftlich und sozial schwierige Situation für Tunesien herrsche. Die Revolution habe zwar ermöglicht, sich von der Diktatur zu befreien, gleichzeitig sei dadurch soziale Ungleichheit und hohe Arbeitslosigkeit zu Tage getreten. Vor allem bei den Hochschulabsolventen herrsche eine hohe Arbeitslosigkeit, die Regierung strebe jedoch eine solidarische und sozial gerechte Wirtschaft an und fördere deshalb vor allem kleine Kooerativen und Betriebe.

Von der deutschen Politik wünscht er sich vor allem ein Programm zur Arbeitsmigration. Gleichzeitig machte er deutlich, dass illegale Ausreise aus Tunesien für Tunesier eine Straftat sei, die mit Gefängnis geahndet würde. Es wurde deutlich, dass die tunesische Regierung hier gegenüber den eigenen Staatsangehörigen eine sehr rigide Politik fährt.

Der nächste Termin führte uns zur Europäischen Kommission in Tunesien. Mal unabhängig davon, dass die Sicherheitsvorkehrungen fast anstrengender waren als am Flughafen, war dies auch ansonsten einer der härtesten Termine des Tages. Im Gespräch mit Frau Kati Leinonen und Frau Ilaria Mussetti wurde deutlich, dass die mit Tunesien vereinbarte “Mobilitätspartnerschaft” der EU vor allem ein Ziel verfolgt: Menschen davon abzuhalten nach Europa zu kommen bzw. sie aus Europa wieder zurück in den “Transitstaat” Tunesien zu bringen. Die “Partnerschaft” baut auf vier Säulen:

  • Legale Mobilität und Migration
  • Kampf gegen illegale Migration und Menschenhandel
  • Migration und Entwicklung
  • Asyl und internationaler Schutz

Dazu gibt es dann verschiedene Programme, bspw. Stärkung der tunesischen Behörden bei Arbeitsmigrationsmanagement, Rückkehrerunterstützung oder auch das Programm SALEMM, das unbegleitete minderjährige Flüchtlinge anhalten soll, nicht in die EU einzureisen bzw. schnell wieder in das Herkunftsland zurückzukehren. Von der tunesischen Regierung erwarte die Europäische Kommission folgendes:

  • Einwanderungsgesetz und Asylrecht einführen
  • Koordination zwischen den Ministerien verbessern und Ansprechpartner für Externe
  • Rechtsrahmen für Migranten erneuern
  • Formulierung einer nationalen Politik für Migration

Als klares Ziel der Europäischen Kommission formulierten die Gesprächspartnerinnen folgendes: Ziel der EK ist eine Vereinbarung mit Tunesien, dass Flüchtlinge, die über Tunesien nach Europa eingereist sind, nach Tunesien zurückgeführt werden können. Das wäre eine Ausweitung des Dublin-Systems auf nichteuropäisches Territorium. Ich war offengestanden überrascht, dass dies so deutlich ausgesprochen wird.

Der vierte Termin des Tages führte uns zur Internationalen Organisation für Migration (IOM), zur Leiterin des Büros in Tunis, Frau Lorena Lando. Die IOM hat 158 Mitgliedsstaaten und unterhält 450 Büros weltweit, darunter in Tunesien 4 Büros mit 50 MitarbeiterInnen. Sie hat sich der Arbeit mit den MigrantInnen verschrieben, aber auch der Zusammenarbeit mit den Aufnahme-, den Transit- und den Heimatländern. Vom Selbstverständnis her ist sie keine NGO, sondern arbeitet im Auftrag ihrer Mitgliedsstaaten. Bei diesem Gespräch konnten wir neben der Situation in Tunesien auch die aktuelle Lage in Libyen intensiv diskutieren. Klar wurde, dass vor allem das Versagen staatlicher Institutionen in Libyen aktuell den Unterschied ausmacht zu Tunesien. Es fehlt in Libyen an klaren Verantwortlichkeiten, was damit zu tun hat, dass es aktuell zwei Regierungen (wovon eine international anerkannt ist) und diverse Milizen gibt. Es ist davon auszugehen, dass zumindest die Milizen, ggf. aber auch die Regierungen, an der illegalen Migration kräftig mitverdienen.

Wir diskutierten neben diesen Fragen die aktuelle Situation im Mittelmeerraum vor allem hinsichtlich der Bootsflüchtlinge und der Seenotrettung. Wir waren uns einig, dass es endlich legale Migrationswege braucht, um das tausendfache Sterben im Mittelmeer zu beenden.

Das war allerdings noch nicht der letzte Termin. Der Tag endete mit einem Blick auf den (noch nicht fertig gestellten) Film "Europe’s Borderlands" und einem Hintergrundgespräch mit dem Filmemacher Jakob Preuss.
Im Gegensatz zu politischen Debatten geht es beim Film nicht primär um Argumentation für das eine oder andere Konzept. Er macht eindrücklich klar, was das technokratische Herangehen, das selbsterklärte Nichtzuständigsein, die Abschottung Europas für die Menschen ganz konkret, ganz real bedeuten: Verzweiflung, Elend und die Bereitschaft den Tod in Kauf zu nehmen. Die gesehenen Ausschnitte und die anschließende Diskussion mit dem Filmemacher haben mich schwer beeindruckt. Sowie der Film fertig ist, werde ich versuchen, eine Veranstaltung mit Jakob Preuss zu organisieren, bei der dieser Film gezeigt wird. Bilder und Videos sagen mehr als tausend Worte!

Bildungsreise europäisches Grenzregime

Tag 1: Briefing

Vom 29.9. bis 4.10.2015 bin ich auf Bildungsreise zum europäischen Grenzregime. Diese Reise ist ein Kooperationsprojekt von Rosa-Luxemburg-Stiftung und Fraktionsvorsitzendenkonferenz der LINKEN. Auf dem Programm stehen unter anderem in Tunis Gespräche mit dem UNHCR, der Europäischen Kommisson sowie mit Hilfsorganisationen und Müttern vermisster Flüchtlinge und in Palermo unter anderem ein Gespräch mit dem Bürgermeister der Stadt sowie Besuche in Flüchtlingslagern und -einrichtungen. Mitreisende sind Abgeordnete der Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion der LINKEN sowie MitarbeiterInnen der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Heute Morgen ging es los. Flug über Paris nach Tunis. In Tunis angekommen machten wir uns auf den Weg in das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das als Verbindungsbüro für den gesamten nordafrikanischen Raum fungiert.

Hier trafen wir uns mit dem deutschen Botschafter in Tunesien, Dr. Andreas Reinecke, und dem Leiter der Rechts- und Konsularabteilung sowie Zuständigen für Migration in der deutschen Botschaft, Herrn Rolf Michael Jürgens, zum Briefing der Delegation zur Lage in Tunesien und dem nordafrikanischen Raum. Der Botschafter gab uns eine umfassende Einschätzung zur politischen Situation in Tunesien. Es wurde deutlich, dass Tunesien, verglichen mit anderen Staaten des nordafrikanischen Raums politisch und wirtschaftlich stabil ist. Gleichzeitig gibt es aber auch hier Risiken im Prozess der politischen Transformation nach dem “arabischen Frühling”. Dabei ist zuerst das “Sicherheitsproblem” zu nennen, das der Botschafter als terroristische Gefahr von innen und von außen beschrieb. Von innen meint dabei, dass sich mindestens 5.000 Menschen dem IS angeschlossen haben und auch innerhab Tunesiens terroristische Anschläge stattfanden und auch weiterhin stattfinden können. Von außen meint die destabile Lage an der algerischen Grenze. Eine weitere Gefahr für die politische Stabilität geht von der wirtschaftlichen Entwicklung aus, die beschrieben werden kann mit einer recht hohen Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig großer “Schattenwirtschaft”,  einem zurückgehenden Tourismus infolge der terroristischen Anschläge und einer Hemmung der Wirtschaft durch bürokratische und langwierige politische Entscheidungsprozesse.

Im Gespräch wurde außerdem deutlich, dass Tunesien zwar in der Vergangenheit sehr viele libysche Flüchtlinge aufgenommen hat (bis zu 1 Million), diese allerdings zu einem guten Teil in die tunesische Gesellschaft integriert sind. Im Land befinden sich außerdem ca. 4.000 Syreinnen und Syrer, von denen jedoch ca. 1.000 schon lange in Tunesien leben.

In der aktuellen Situation verlaufen die Fluchtrouten vor allem über Libyen, von den ca. 114.000 Flüchtlingen, die von Afrika in diesem Jahr bis Ende Juli nach Italien gelangt sind, kamen nicht einmal 500 aus Tunesien. Im Land ist das UNHCR aktiv, das ca. 900 Menschen in diesem Jahr den Flüchtlingsstatus zugebilligt hat. Die tunesischen Behörden billigen diesen und die Flüchtlinge haben Zugang zum Gesundheitssystem und die Kinder können zur Schule gehen. Die geringen Zahlen führen jedoch insgesamt dazu, dass die tunesische Politik diesem Thema nur einen geringen Stellenwert einräumt.

Der Botschafter berichtete allerdings, dass das um die Welt gehende Foto des kleinen ertunkenen Jungen in Tunesien eine gesellschaftliche Debatte ausgelöst hat.

Nach dem Abendessen sind wir über die Arbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung im nordafrikanischen Raum informiert worden. Die Schwerpunkte der Stiftung sind neben der Beobachtung der politischen Situation vor allem der Bereich der Vernetzung der politisch aktiven linken Akteure der Region.

Es folgte ein Debatte über die Rolle der Frauen in der tunesischen Gesellschaft, die seit vielen Jahren eine sehr progressive für den arabischen Raum ist. Aber auch die Fragen, weshalb sich so viele Menschen dem IS anschließen und wo die Gründe dafür liegen, dass Tunesien, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der Region politisch stabiler ist, wurden erörtert.

Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels

Eine erste Einschätzung

Da es bereits einige Anfragen gibt, will ich zumindest kurz meine erste Einschätzung der Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels und die Auswirkungen auf Brandenburg geben. Eine ausführlichere Einschätzung folgt.

Der Ministerpräsident Dietmar Woidke hat heute Nacht dem Kompromiss der Länder mit dem Bund zugestimmt. Dabei war immer klar, dass die einzelnen Verabredungen mit den jeweiligen Koalitionspartnern in den Ländern in der Umsetzung abgestimmt werden müssen. Die Abstimmungen im Bundesrat stehen natürlich unter genau diesem Vorbehalt. Als LINKE haben wir in diesem Prozess dem Koalitionspartner deutlich gemacht, welche Maßnahmen mit uns nicht gehen.

Es bleibt dabei, dass es im Bundesrat keine Zustimmung aus Brandenburg gibt, wenn es um die Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten, die Ausweitung des Sachleistungsprinzips, einen verlängerten Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen, Verschärfungen beim Aufenthaltsrecht und bei den Abschiebungen oder Arbeits- und Bildungsverbote für einzelne Gruppen von Asylsuchenden geht. Und die Streichung jeglicher Leistungen für vollziehbar Ausreisepflichtige, wenn ihnen vorgeworfen werden kann, sie würden schuldhaft die Ausreise verweigern bzw. verhindern, halte ich für verfassungswidrig und auch dazu wird es keine Zustimmung geben.

Eines der Hauptprobleme ist uns bleibt die Einteilung in „gute“ und „schlechte“ bzw. „erwünschte“ und „nicht erwünschte“ Flüchtlinge. Jegliche Maßnahmen, die letztere schlechter stellen, werden wir bekämpfen.

Jedoch sind im „Kompromiss“ der Ministerpräsidenten auch positive Punkte enthalten, wie bspw. der Einstieg in die strukturelle, dauerhafte und verlässliche Mitfinanzierung der Kosten, die den Ländern und Kommunen für die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden entstehen. Die Höhe der Kostenübernahme ist mit 670 Euro/Monat und Person niedriger als angestrebt, allerdings ist es eine deutliche Verbesserung zum Status Quo.

Auch die Verbesserung der psychologischen Betreuung und bei der Integration in den Arbeitsmarkt, zumindest für große Gruppen der Asylsuchenden, ist ein Fortschritt. Auch Verbesserungen bei der Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen und die Schaffung von zusätzlichen Stellen beim Bundesfreiwilligendienst sind zu begrüßen. Und auch die Möglichkeit der Einreise zur Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung ist ein richtiger Schritt.

Die Verbesserungen beim Impfschutz und zumindest kleine Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Einführung einer Gesundheitskarte sind gut, auch wenn unsere Forderungen darüber hinaus gingen.

Schwierig in der Umsetzung wird das schnellere Inkrafttreten der Gesetzesnovelle zu dem unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, da die Kommunen darauf noch nicht vorbereitet sind. Das muss jetzt sehr schnell angepackt werden. Klar ist, dass die finanziellen Zusagen des Bundes für diesen Bereich völlig unzureichend sind.

Gespannt bin ich, ob es dem Bund wirklich gelingt, die Verfahrenslaufzeiten zu verringern. Wünschenswert wäre es, schon um die Zeit der Unsicherheit für die Flüchtlinge zu verkürzen. Aber auch, weil damit die Zeit, in der Flüchtlinge dem Asylbewerberleistungsgesetz unterworfen sind, verkürzt würde.

Das klare Bekenntnis zur Bekämpfung von Fluchtursachen in der Erklärung bleibt leider vage. Es ist zu hoffen, dass dies nicht nur hohle Worte sind sondern dem wirklich Taten folgen.

Insofern ist im Kompromiss der Ministerpräsidenten mit dem Bund einiges an Licht aber auch eine Menge Schatten. Wir werden uns in Brandenburg jetzt darauf konzentrieren, das Landesaufnahmegesetz zu novellieren und damit die Rahmenbedingungen in Brandenburg für Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden zu verbessern. Auf der Agenda stehen außerdem die Einführung der Gesundheitskarte, die Umsetzung der Änderungen bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Integration in Bildung und Arbeitsmarkt, der weitere Ausbau der Erstaufnahmekapazitäten und die Unterstützung des Ehrenamts.

Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Deutschland

Ein Kommentar

Da es einige Nachfragen gab, was ich zu der gestrigen Entscheidung zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Deutschland sage, hier mein kurzer Kommentar:

“Die Einführung von Grenzkontrollen ist falsch. Dies wird die Menschen nicht aufhalten sondern nur dazu führen, dass die Geflüchteten andere Wege finden. Sie werden zu uns kommen und zu einem großen Teil auch bei uns bleiben. Es hilft uns nicht, von „Notstand“ oder „Atempause“ zu reden, die Geflüchteten haben keine Atempause, sie befinden sich teils seit Monaten auf der Flucht und für sie bedeutet dies die Verlängerung des Leids. Die Zuständigen müssen jetzt handeln, die Aufnahme- und Versorgungsstrukturen stärken, die Ehrenamtlichen besser unterstützen und alle Akteure bündeln. Unser Job ist jetzt, im ersten Schritt Obdachlosigkeit zu verhindern und die Menschen unterzubringen und gleichzeitig müssen wir Lösungen entwickeln, die gewährleisten, dass den Geflüchteten eine Lebensperspektive in Brandenburg geboten wird.”

Handreichung zum Sachstand

Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Brandenburg

(2. erweiterte und aktualisierte Version, Stand 10. September 2015)

Derzeit ist das Thema Asyl und Flüchtlinge in aller Munde und auch die Presse ist voll mit Meldungen zu steigenden Flüchtlingszahlen und Diskussionen um neu zu errichtende Unterkünfte. Vor allem bei denjenigen, die vor Ort mit Flüchtlingen zu tun haben, treten immer wieder Fragen auf: Wie sind Unterkunft und Betreuung von Flüchtlingen in Brandenburg eigentlich organisiert? Welche Hilfen zur Integration gibt es, wer ist wofür zuständig und wie wird das finanziert? 

Diese Handreichung soll KommunalpolitikerInnen, in der Flüchtlingsarbeit Aktiven und Interessierten einen schnellen Überblick über den aktuellen Sachstand zur Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen in Brandenburg geben. Es wird versucht, ein schnelles Erfassen der wichtigsten Entwicklungen und Fakten zu ermöglichen.

Aufgrund der dynamischen Entwicklung gibt es regelmäßig Veränderungen, weshalb eine Aktualisierung dieser Handreichung in unregelmäßigen Abständen geplant ist. Die hier vorliegende Broschur stellt die zweite, stark erweiterte und aktualisierte Handreichung dar. Die jeweils aktuelle Fassung finden Sie auf www.linksfraktion-brandenburg.de.

Die Handreichung im PDF-Format finden Sie hier.

Sitzung des Sozialausschusses

Erste Informationen zur Novellierung des Landesaufnahmegesetzes

Eigentlich berichte ich hier ja eher selten über Sitzungen von Ausschüssen, auch weil diese meist nicht sooo spannend sind, dass sie einen eigenen Artikel rechtfertigen. Heute gibt es aber wirklich Anlass, denn die Sozialministerin Diana Golze hat heute im Sozialausschuss über die Eckpunkte der Novellierung des Landesaufnahmegesetzes informiert. Das Landesaufnahmegesetz regelt die Standards der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung im Land Brandenburg. Der Gesetzentwurf wird Ende September, also nach dem Flüchtlingsgipfel des Bundes mit den Ländern, dem Landtag zur Beratung übermittelt.
Angesichts der angespannten Lage aufgrund steigender Flüchtlingszahlen ist es nicht hoch genug zu schätzen, dass das Ministerium anstrebt, durch das Gesetz die Versorgung der Flüchtlinge in Brandenburg weiter zu verbessern und die Kommunen zu entlasten:

  • Verbesserung des sozialpädagogischen Betreuungsschlüssels von aktuell 1:120 (1 Sozialpädagoge für die Betreuung von 120 Flüchtlingen) in zwei Schritten auf 1:60
  • zusätzliche Stellen in den Landkreisen und kreisfreien Städten, die vor allem der Koordination der AkteurInnen vor Ort dienen
  • Streichung der Kappungsgrenze der Versorgungspauschale nach 4 Jahren (Das Land zahlt den Kommunen eine Pauschale für die Versorgung und Betreuung der Asylsuchenden in Höhe von 9128 Euro pro Jahr. Die Erstattung endet, wenn das Verfahren abgeschlossen ist. Allerdings bleiben diejenigen, deren Antrag zwar abgelehnt wurde, die aber eine Duldung erhalten, weiterhin im Geltungsbereich des Asylbewerberleistungsgesetzes, teils über viele Jahre. Die Erstattung endet jedoch aktuell nach 4 Jahren. Deshalb bleiben die Kommunen aktuell auf den Kosten für diejenigen, die eine Duldung erhalten bzw. auch diejenigen, deren Verfahren länger als 4 Jahre dauern, sitzen. Dies wird mit dieser Regelung geändert.)
  • vollständige Übernahme der Gesundheitskosten der Asylsuchenden durch das Land (bisher sind diese pauschal in der Betreuungspauschale, die das Land zahlt, enthalten, das ist aber nicht immer kostendeckend für die Kommunen)
  • Ausweitung der Investitionspauschale auf die Schaffung von Plätzen in Wohnungen (Aktuell gibt es hier einen Fehlanreiz. Schaffen die Landkreise und kreisfreien Städte Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, erhalten sie eine pauschale Erstattung vom Land in Höhe von ca. 2300 Euro für die Ausstattung. Schaffen sie Plätze in Wohnungen, erhalten sie dies nicht. Vor allem die Unterbringung in Wohnungen ist aber integrationsfördernd und gleichzeitig ist die Ausstattung von Wohnungen oftmals teurer. Wenn man also Wohnungsunterbringung will, muss man auch diese Plätze fördern. Genau dies soll jetzt passieren.)

Die Eckpunkte gefallen mir erst einmal sehr. Das sind genau die Sachen, die uns regelmäßig in den Kommunen als Änderungsbedarf angetragen werden. Ich bin gespannt auf den Gesetzentwurf!

Und eine weitere Information im Sozialausschuss hat mich gefreut: Diana Golze informierte, dass es inzwischen den Entwurf einer Vereinbarung zwischen der AOK Nordost und dem Land zur Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge gibt. Dieser ist aktuell in der Abstimmung mit den Kommunen. Wenn hier nicht noch irgendwas schief geht, können wir also bald mit der Einführung der Gesundheitskarte rechnen. Das ist hervorragend, da dies einerseits bürokratischen Aufwand in den Kommunen verringert und andererseits die Entscheidung darüber, ob ein Flüchtlings eine Behandlung erhalten darf, nicht mehr bei den Verwaltungen sondern bei den Ärzten liegt.

Das war heute eine sehr schöne Ausschusssitzung, mit so vielen guten Nachrichten!

Liste der Grausamkeiten

Eine Bewertung des Papiers zur Flüchtlingspolitik der CDU/CSU-Fraktion

Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag hat am Mittwoch ein Positionspapier zur Flüchtlingspolitik beschlossen und hier veröffentlicht. Das war übrigens genau der Tag, an dem das Bild des kleinen kurdischen Jungen Aylan, der auf der Flucht gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder kurz vor der rettenden Küste ertrank und an den Strand gespült wurde. Das war auch der Tag, an dem Italien die Brenner-Autobahn auf Drängen Bayerns dicht machte, Estland und Lettland beschlossen, ihre Grenzen zum nichteuropäischen Ausland zu verstärken, Flüchtlinge in Budapest am Bahnhof weiterhin an der Ausreise gehindert wurden. An einem solchen Tag, der eingebettet ist in Tage voll mit Meldungen von massenhaft ertrunkenen Menschen im Mittelmeer, an der mazedonischen Grenze auf Flüchtlingsfamilien prügelnden Polizisten, von einem Kühltransporter in dem 70 Frauen, Männer und Kinder qualvoll starben und vielen ähnlichen Meldungen mehr, veröffentlichen die deutschen Fraktionen mit dem C im Namen ein Positionspapier zur Flüchtlingspolitik.

Man würde erwarten, dass in einem solchen Papier irgend etwas zu der humanitären Katastrophe, die sich aktuell überall und vor allem an den Außengrenzen Europas abspielt, gesagt wird. Man würde erwarten, ein Wort des Bedauerns zu finden, über das eigene Versagen als maßgebliche Mitverantwortliche der europäischen Flüchtlingspolitik, deren Abschottungsstrategie das Sterben Tausender auf dem Weg nach Europa verursacht. Man hofft, ein Bekenntnis zu finden, dass das Sterben ein Ende haben muss. Und man erwartet Lösungen, wie diese schändliche Situation zumindest bekämpft werden kann.

Doch von all dem findet sich nichts im Papier der CDU/CSU-Fraktion. Nichts! Stattdessen findet man schon in den ersten Absätzen Sätze, die von Formulierungen wie “Leistungsfähigkeit erreicht”, “Flüchtlingswelle”, “Flüchtlingsproblematik”, “tatsächlich politisch Verfolgten”, “wirklich Schutzbedürftigen”, “Zahlen dieser Größenordnung nicht schultern können”, “wirtschaftliche Notlage ist kein Asylgrund” usw. nur so strotzen. Empathie? Entsetzen? Wut? Bedauern? Mitgefühl? Verständnis? – Nichts davon findet man in diesem Papier. Weder am Anfang, noch in der Mitte und auch nicht am Ende.

Wenn man sich durch die kalten, völlig empathielosen ersten Absätze zur “Ausgangslage” gequält hat, ahnt man bereits, dass dieses Papier nichts mit einer humanen, menschenrechtsbezogenen Flüchtlingspolitik zu tun hat. Und diese Befürchtung bewahrheitet sich dann auch in der Folge.  Immerhin findet sich eine Würdigung des ehrenamtlichen Engagements der vielen Menschen, die den bei uns Zuflucht Suchenden in allen Lebenslagen helfen. Und auch ein kleiner Absatz zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünften und ein kleines Bekenntnis zur Bekämpfung von Fluchtursachen findet sich. Das wars dann aber auch schon mit so ein klein wenig positiven Nachrichten.

Übergangslos geht es zum “Maßnahmenkatalog”. Und hier offenbart sich dann, wo es hingehen soll. Ich schreibe hier nicht zu allen “Maßnahmen” etwas, es sind sicher auch einige unstrittige dabei, wie bspw. die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements oder die Erleichterungen im Vergaberecht, um schneller Flüchtlingsunterkünfte zu errichten. Ich will mich hier auf die beschränken, die aus meiner Sicht indiskutabel si

  1. Durch das ganze Papier zieht sich ein weiteres Mal der Versuch der Ungleichbehandlung von Flüchtlingsgruppen. In einem Blogartikel hatte ich vor ein paar Wochen prophezeit, dass die aktuelle Diskussion um weitere sogenannte sicher Herkunftsländer nicht das Ziel hat, Verfahrenslaufzeiten zu verringern, sondern der rechtlichen Definition verschiedener Flüchtlingsgruppen dient, um diese unterschiedlich behandeln zu können. Damals ging ich noch davon aus, dass es um einen längeren Verbleib in der Erstaufnahme oder auch Leistungseinschränkungen geht. Nun weiß ich, dass ich leider Recht hatte, ich konnte mir aber nicht vorstellen, welche Maßnahmen dann tatsächlich folgen sollen, gegen diejenigen aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern: keine Beschäftigungserlaubnis und Wiedereinführung der Residenzpflicht. Selbiges gilt für alle im Dublin-Verfahren befindlichen Menschen, was ein völliger Irrsinn ist, angesichts der geringen tatsächlich durchgeführten “Überstellungen”.
  2. Ich habe mich geirrt hinsichtlich meiner Vermutung, dass für diejenigen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, Sachleistungen oder längerer Verbleib in der Erstaufnahme drohen. Allerdings auch nur, weil die CDU/CSU dies in diesem Papier für alle im Verfahren befindlichen Menschen fordert. Obwohl nun wirklich jeder, der sich ein wenig mit Asyl- und Flüchtlingspolitik beschäftigt, weiß, dass die Verfahrenslaufzeit aktuell bei durchschnittlich ca. 5 Monaten liegt, was allerdings nur der Priorisierung bestimmter Gruppen (also derjenigen, die mit ziemlicher Sicherheit einen Schutzstatus sowie derjenigen, die sehr wahrscheinlich keinen Schutzstatus erhalten). Obwohl bekannt ist, dass dadurch alle anderen deutlich länger auf eine Entscheidung warten müssen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aktuell noch Verfahren aus dem Jahr 2013 offen hat. Obwohl all das bekannt ist, will die CDU/CSU-Fraktion nun für alle Schutz suchenden durchsetzen, dass diese bis zum Verfahrensabschluss in der Erstaufnahme verbleiben sollen und dort ausschließlich Sachleistungen erhalten. Also keinen einzigen Cent für ein kleines persönliches Bedürfnis. Mal unabhängig davon, dass kein Bundesland auf die Schnelle die dafür benötigten Kapazitäten in der Erstaufnahme vorhält und diese auch nicht mal schnell schaffen kann, würde diese Maßnahme jegliche Integrationsbemühungen konterkarrieren. Wer einmal eine Erstaufnahmeeinrichtung besucht hat, weiß, dass dort viele Hundert bzw. teils mehrere Tausend Menschen auf engstem Raum ohne Privatsphäre untergebracht sind. Zelte und Turnhallenbelegung sind bereits jetzt an der Tagesordnung. Es gibt gute Gründe, dass aktuell die maximale Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme auf drei Monate beschränkt ist. Ein wirkliches Ankommen, ein zur Ruhe kommen und ein auch nur ein klein wenig selbstbestimmtes Leben ist erst nach dem Ankommen in den Kommunen möglich!
  3. Diese Grausamkeiten reichen der CDU/CSU aber noch lange nicht. Unter der Überschrift “Keine falschen Anreize schaffen” lehnen sie die von vielen Ländern geforderte Gesundheitskarte ab. Flüchtlinge haben in Deutschland bereits jetzt nur einen Anspruch auf eine Akut- und Schmerzversorgung, also nur auf sehr eingeschränkte medizinische Versorgung, die in der Regel durch Behören genehmigt werden muss. Wer ein wenig die Medien verfolgt, hat die Fälle mitbekommen, wo aufgrund eines fehlenden “Scheins” vom Amt selbst schangeren Frauen oder totkranken Menschen die Behandlung erweigert wurde. Die Gesundheitskarte, die diese Genehmigung durch eine Behörde aufheben und die Feststellung der Behandlungsnotwendigkeit in die Hände eines Arztes legen und die nebenbei auch erheblichen Erwaltungsaufwand in den Kommunen abbauen würde, lehnt die CDU/CSU ab. Weil es zu starke Anreize schaffen würde. Als würde jemanden, dessen Haus gerade weggebombt wurde, interessieren, ob es eine Gesundheitskarte gibt oder nicht, nach dem Motto, “Oh, Deutschland hat keine Gesundheitskarte. Hm, dann bleibe ich mal lieber hier und lasse mich und meine Familie abschlachten.”
  4. So verwundert es auch nicht, dass im Papier eine Absage an eine Arbeitserlaubnis ab dem ersten Tag erteilt wird.
  5. Duldungen und Abschiebungshindernisse sind der CDU/CSU ebenfalls ein Dorn im Auge. Aktuell dürfen Menschen in bestimmten Fällen auch nach Ablehnung ihres Asylantrages nicht abgeschoben werden. Das können persönliche Gründe sein wie bspw. Krankheit, aber auch zielstaatsbezogene, wie bspw. die Verschlechterung der Lage im Herkunftsstaat. Bei all den Grausamkeiten, die im Papier enthalten sind, scheint es nahezu folgerichtig, dass also auch Abschiebungshindernisse eingeschränkt werden sollen.
  6. Fast überflüssig zu erwähnen, dass die rechtsstaatlichen Mittel gegen Entscheidungen eingeschränkt und Wiedereinreisesperren ausgeweitet werden sollen. Auch eine einheitliche Abschiebepraxis (also in der Konsequenz die Verhinderung von Abschiebestopps durch die Länder bspw. in Wintergebiete) sowie verstärkter Einsatz gegen “Schleuserkriminalität” verstehen sich nach all dem, fast von selbst.
  7. Interessant wird es noch einmal bei der “Gemeinsame(n) europäische(n) Asylpolitik”. Hier gibt es natürlich keine Aussagen zu Seenotrettung oder der Eröffnung sicherer Fluchtwege. Es geht um Einheitlichkeit, lernen wir hier: bei den sogenannten sicheren Herkunftsländern, den Sozialleistungen (was in der Konsequenz zwingend einen Abbau selbiger bedeutet), Aufnahmezentren in Italien und Grieschenland (was zumindest nach aktueller Rechtslage bedeuten würde, dass genau diese Länder nach dem Dublin-Abkommen für die Flüchtlinge zuständig sind). Da wirkt der Hinweis, man stelle das Schengen-Abkommen nicht infrage, schon wie eine Drohung, dass sich das sehr schnell ändern kann.
  8. Und dann gibt es noch eine “Maßnahme” “Fluchtursachen bekämpfen”. Es klingt zumindest erst einmal gut, wenn von Programmen, die den Menschen in der Heimat Entwicklungsperspektiven, die Stabilisierung fragiler staatlicher Institutionen, Konflikt- und Gewaltminderung oder die Stabilisierung von Nachbarregionen die Rede ist. Im Vergleich zum Rest des Papiers, bleibt hier allerdings das meiste unkonkret. Und es fehlen jegliche Verweise darauf, in der Außenpolitik statt der praktizierten Kriegslogik Deutschlands und seiner Bündnispartner künftig auf zivile Konfliktlösungen zu setzen. Und auch ein sehr einfach zu realisierender Stopp von Waffenexporten findet sich selbstverständlich nicht. Unterstützung ziviler Organisationen in Konfliktregionen, Verstärkung der Selbsthilfe vor Ort, wirtschaftliche Stabilisierung oder Verhinderung der Ausplünderung ganzer Staaten durch weltweit agierende Konzerne kommen der CDU/CSU ebenfalls nicht in den Sinn.

Fazit: Dieses Papier folgt nur einer einzigen Logik: Der Abschreckung. Restriktion und Abschottung statt Humanität. Das alles zeugt von einem Menschenbild, das mich zutiefst erschreckt. Es geht nicht um die Menschen, um deren Schicksale. Es geht nur darum, die “Flüchtlingszahlen” zu verringern und von denen, die es bis nach Deutschland schaffen, so viele wie möglich so schnell wie möglich wieder los zu werden.

Damit bewegt sich die CDU mehrere Schritte nach rechts; dieses Papier hätte 1:1 von der AfD kommen können. Und gleichzeitig muss man der CDU/CSU-Fraktion sagen: Dies alles wird nicht helfen, euer Ziel, Fluchtbewegungen nach Deutschland einzudämmen, zu erreichen. Hier findet eine jahrzehntelange Ausbeutungs- und Kriegslogik ihren Ausdruck. Dagegen helfen keine Zäune und keine Abschreckung, weil es schlicht um das nackte Überleben geht. Im Übrigen auch bei einem großen Teil der Flüchtlinge vom Balkan. Auch bei der Destabilisierung dieser Region hat deutsche Außenpolitik einen großen Anteil.

Allerdings: Setzt sich diese Flüchtlingspolitik durch, werden wir weiterhin die Meldungen massenhaften Verreckens von Menschen an den EU-Außengrenzen ertragen müssen. Wir werden ertragen müssen, dass Menschen in Deutschland über Jahre in Massenunterkünften leben ohne Chance auf Integration und Teilhabe, ohne die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Ich bin sicher, dass ein Teil der Vorschläge schlicht verfassungswidrig ist, hat doch das Bundesverfassungsgericht festgestellt: “Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.” Und dennoch müssen wir alles dafür tun, dass dies nicht Realität wird. Die CDU/CSU hat sich entschieden. Nun müssen wir alle gemeinsam politischen Druck auf die SPD ausüben, damit diese in der schwarz-roten Koalition diese Liste der Grausamkeiten verhindert!

Flüchtlingsgipfel des Bundes mit den Ländern

Positionspapier der Linksfraktion im Landtag Brandenburg

Die Landtagsfraktion der LINKEN in Brandenburg kam in dieser Woche zur Klausurtagung in Cottbus zusammen. Ich habe der Fraktion eine Positionierung zum Flüchtlingsgipfel des Bundes mit den Ländern am 24. September 2015 vorgeschlagen, der bis auf kleinere redaktionelle Änderungen gefolgt wurde.

Diese Positionierung wurde heute in einer Pressekonferenz gemeinsam mit den Parteivorsitzenden der LINKEN, Katja Kipping und Bernd Riexinger, der Presse vorgestellt und soll natürlich den Leserinnen und Lesern dieser Seite nicht vorenthalten werden:

Flüchtlingsgipfel des Bundes

Positionspapier der Linksfraktion im Landtag Brandenburg

  1. Der Bund muss sich an der Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge beteiligen. Unsere Forderung sind 1000 Euro pro Monat und Flüchtling vom Bund.
  2. Die Verfahrensdauer muss verkürzt werden, um die monate- und jahrelange Unsicherheit bei den Flüchtlingen zu verkürzen. Dazu ist schnell das bereits beschlossene Personal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einzustellen und auszubilden.
  3. Außerdem schlagen wir vor, die Dublin-Regelüberprüfungen auszusetzen, da der bürokratische Aufwand und die tatsächliche Umverteilung innerhalb der EU-Staaten in keinem sinnvollen Verhältnis zueinander stehen und die Umverteilung selbst zu persönlichen Härten führt.
  4. Wir streben die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge auf Bundesebene an. Auch wenn damit unser Ziel, Flüchtlinge in die Regelsysteme zu integrieren, nicht erreicht werden kann, wäre dies dennoch eine deutliche Verbesserung für die Kommunen, die von bürokratischem Aufwand entlastet würden, für die Ärzteschaft, für die bundeseinheitliche Regelungen geschaffen würden und für die Flüchtlinge, über deren Behandlungsnotwendigkeit nicht weiterhin Verwaltungsmitarbeiter entscheiden würden. Außerdem wollen wir eine bundesfinanzierte Impfberatung bereits in der Erstaufnahme.
  5. Es braucht einen Anspruch auf Integrationskurse auch für Geduldete und Flüchtlinge im Verfahren.
  6. Eine verbesserte Arbeitsmarktintegration durch die Bundesanstalt für Arbeit (BA) und die Jobcenter ist notwendig, das heißt Aufstockung des Personals, Schulungen bei der BA, aufsuchende Beratung.
  7. Eine Beschleunigung der Berufsanerkennung und Verbesserung der Beratung sowie ein sicheres Bleiberecht für Jugendliche in Ausbildung und mindestens zwei Jahre danach sind ebenfalls Ziele.
  8. Alle Vorschläge, die in die Richtung gehen, außerhalb des Asylrechts Arbeitsmigration zu erleichtern, werden wir vom Grundsatz her positiv begleiten, da sie einerseits legale Wege für diejenigen, die keine Chance auf ein positives Asylverfahren haben, schaffen und andererseits zu einer Entlastung des „Asylsystems“ und aller Akteure führen.
  9. Die Forderung des Mieterbunds, eine Milliarde Euro jährlich den Ländern für den Bau von Sozialwohnungen für Flüchtlinge und Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung zu stellen, unterstützen wir.
  10. Es sollte ein Vorrang für die Unterbringung von Geflüchteten bei Verwandten, FreundInnen und Bekannten vor der Unterbringung in Notunterkünften, Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften gelten. Das erleichtert nicht nur das Ankommen und die Integration der Flüchtlinge, es entlastet auch das Unterbringungssystem.
  11. Eine Ausweitung der Regelung der sicheren Herkunftsstaaten lehnen wir ab. Dies wird das Problem der zu langen Verfahrensdauern nicht lösen und höhlt das Asylrecht weiter aus.
  12. Eine Ungleichbehandlung von Flüchtlingen aus verschiedenen Herkunftsstaaten lehnen wir ab. Allen steht das Recht offen, um Schutz vor politischer Verfolgung und um Flüchtlingsschutz zu ersuchen. Insofern lehnen wir auch die unterschiedliche Behandlung verschiedener Gruppen in der Erstaufnahme ab.
  13. Eine längere Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen – ob nun für einzelne Gruppen oder für alle – lehnen wir ab, da die Bedingungen in der Erstaufnahme integrationshemmend sind und ein wirkliches zur Ruhe kommen erst nach der Verteilung auf die Landkreise und kreisfreien Städte möglich ist. Eine Änderung des Asylverfahrensgesetzes mit dem Ziel der Verlängerung des Aufenthalts in der Erstaufnahme findet insofern nicht unsere Zustimmung.

Sachleistungen für Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern? – Anmerkungen zur Debatte

Es ist Sommerloch. Auch deshalb hält sich eine Debatte in den Medien, die eigentlich erledigt sein sollte. Aber das ist nicht der einzige Grund. Sie hält sich auch in den Medien, weil der Innenminister Karl-Heinz Schröter seine Forderungen nach Sachleistungen für Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern wiederholt und verteidigt. Und das, nachdem die eigene Fraktion, also die SPD, und auch der Koalitionspartner, also DIE LINKE, mitgeteilt haben, dass sie nichts davon halten und deshalb die Chancen sehr gering sind, dass er sich durchsetzt. Auch die Grünen haben mitgeteilt, dass sie dies für keine gute Idee halten. Lediglich der CDU-Generalsekretär Steeven Bretz sprang dem Innenminister bei.

Vorab: Sachleistungsvergabe für Flüchtlinge, egal welcher Herkunft, sind immer diskriminierend und ausgrenzend. Es gab viele, die sich an die Gutscheinpraxis des Landkreises Oberhavel (wo der Innenminister ja Landrat war) erinnert fühlten, obwohl er in der aktuellen Debatte gar nicht von Gutscheinen gesprochen hat. Ich befürchte aber, dass er dies ausdrücklich nicht meinte. Er sprach in seinem Interview davon, die Grundleistungen als Sachleistungen ausgeben zu wollen. Dies sind nach Asylbewerberleistungsgesetz “Grundleistungen für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege, Gebrauchs- und Verbrauchsgüter im Haushalt”. Darüber hinaus erhalten die Asylsuchenden ein Taschengeld, dieses will er aber ausdrücklich nicht antasten. Deshalb glaube ich nicht daran, dass es ihm um Gutscheine geht. Ich glaube eher, er will diese als Grundleistungen definierten Dinge als Sachleistungen direkt zur Verfügung stellen. Ohne auch nur die geringste Wahlmöglichkeit, wie sie Gutscheine (bei aller völlig berechtigten Kritik) noch sichern würden.

Ich glaube allerdings, es geht hier nur vordergründig um die Frage der Sachleistungen. Die Motivation hinter dieser Forderung ist eine andere: es geht darum, Flüchtlinge in Gruppen einzuteilen, um perspektivisch eine weitere Verschärfung des Asylrechts in Deutschland mehrheitsfähig zu machen. Ich hatte mich vor ein paar Tagen bereits zu den unsäglichen Forderungen aus Bayern zu den Aufnahmelagern für einzelne Flüchtlingsgruppen hier auf dieser Seite geäußert. In dem Zusammenhang hatte ich auch einiges zu sogenannten sicheren Herkunftsländern und dem Hang deutscher Politik, steigenden Flüchtlingszahlen durch Gesetzesverschärfungen und nicht durch Bekämpfung der Fluchtursachen zu begegnen, geschrieben. Dies soll hier nicht wiederholt werden. Als ich den Artikel schrieb, hatte ich auch nicht geglaubt, dass ich kurze Zeit später schon wieder dazu etwas schreiben muss. Ich wurde eines Besseren belehrt, denn in genau dieser dort beschriebenen perfiden Logik bundesrepublikanischer Asylpolitik bewegt sich Karl-Heinz Schröter. Nicht seine Forderung nach Sachleistungen ist das eigentliche Problem, auch wenn diese natürlich abzulehnen ist. Das eigentliche Problem ist die Einteilung in “gute” und “schlechte”, in “richtige” und “falsche” Flüchtlinge!

Das wird im Wortlaut des Interviews des Innenministers deutlich: er beginnt mit einer Definition verschiedener Flüchtlingsgruppen: “Fast die Hälfte der Ankommenden hat keinen Asylgrund. Armutsflüchtlinge vom Balkan machen inzwischen 40 Prozent der Asylbewerber aus. Ihre Anträge sind nahezu aussichtslos, aber auch sie haben ein Recht auf Prüfung ihrer Anträge. Dieser Aufwand geht zulasten der Berechtigten, denen wir Schutz vor Krieg und Verfolgung schulden.” – Wir sollen daraus lernen, dass die Asylsuchenden aus dem Balkan a) zu viele sind, b) eh keinen Grund haben, zu uns zu kommen und c) den “richtigen” Flüchtlingen den Platz weg nehmen.

Schröter weiter: “Wir müssen die wirtschaftlichen Anreize herabsetzen. Wenn Armutsflüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern die Erstaufnahme nach drei Monaten verlassen, sollten sie statt Bargeld wieder Gutscheine oder Sachleistungen erhalten. Damit kann man keine Schleuserbanden bezahlen. Zurzeit sind die Schlepper die großen Gewinner.” – Nun kommen noch die Schlepper ins Spiel. Daraus sollen wir lernen: a) Die “Armutsflüchtlinge” kriegen viel zu viel Geld, wirtschaftliche Anreize halt. b) Wer aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommt, ist ein “Armutsflüchtling”. Und c) die “Schleuserbanden” werden durch die “Geschleusten” im Nachhinein bezahlt und zwar von unseren Steuergeldern.

Schröter geht, weitgehend unbeachtet von den Medien aber noch weiter: “In den ersten drei Monaten trennen wir nur zwischen Familien, allein reisenden Männern und Traumatisierten, nicht nach Herkunftsländern. Danach müssen wir die Asylbewerber im Land verteilen. Aber es muss uns gelingen, die Armutsflüchtlinge schon aus der Erstaufnahme wieder in ihre Heimat zu bringen. Weil die Asylverfahren länger als drei Monate dauern, sollte der Bund den Verbleib in der Erstaufnahme auf bis zu sechs Monate ausdehnen.” Hieraus sollen wir lernen: Wir wollen nicht nur Sachleistungen für die, die wir als “Armutsflüchtlinge” brandmarken, wir behandeln sie auch bei der Unterkunft anders, indem wir für sie den Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung verlängern.

Das Schlimmste an diesem Interview ist aus meiner Sicht, dass es denen das Wort redet, die von “massenhaftem Asylmissbrauch” schwadronieren und dies als Rechtfertigung zu rassistischer und fremdenfeindlicher Hetze heranziehen. Mich ärgert aber besonders, dass Herr Schröter bewusst alle Flüchtlinge vom Balkan als “Armutsflüchtlinge” verunglimpft. Dem ist nicht so, und das weiß er auch. Er weiß sehr genau, dass ein guter Teil der Flüchtlinge vom Balkan Roma sind, die systematisch und aus ethnischen Gründen diskriminiert werden. Sie leben in Siedlungen, die nicht genehmigt sind und die es offiziell nicht gibt, sie haben deshalb oft keine Papiere, können bestenfalls in Sonderschulen gehen und finden deshalb keine Arbeit. Wenn ihre Siedlungen abgerissen werden, sind sie obdachlos und wenn sie überfallen, ausgeraubt oder verprügelt werden, hilft ihnen niemand. Sie sind die Sündenböcke auf dem Balkan, sie erhalten keinerlei staatlichen Schutz. Und ja, genau das ist Mehrfachdiskriminierung und der Staat ist nicht willens und in der Lage sie vor Gewalt und Verfolgung zu schützen. Und genau das rechtfertigt die Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Und all das weiß Herr Schröter sehr genau.

Und, zur Klarstellung: Natürlich gibt es Menschen, die nach Deutschland kommen, um sich hier ein besseres Leben aufzubauen und die keinen Fluchtgrund haben, der einen Aufenthaltsstatus im Sinne des Grundgesetzes oder der Genfer Flüchtlingskonvention rechtfertigen würde. Um dies festzustellen gibt es eine Einzelfallprüfung im Asylverfahren. Asyl ist ein individuelles Recht. Keines, das ganzen Volksgruppen verwehrt oder gewährt werden kann. Eine Sortierung kommt genau deshalb nicht in Frage. Weder im Verfahren, noch in der Unterbringung und Versorgung und auch nicht bei der Beschränkung gesetzlich definierter Leistungen.

Mich ärgert auch, dass er seine Forderung nach Sachleistungen mit den “Schleuserbanden” begründet. Die Abschottung Europas und Deutschlands führt dazu, dass Menschen ohne Fluchthelfer keine Chance haben, nach Europa zu flüchten. Natürlich ist das ein Geschäft. Es wäre übrigens keines, wenn es sichere Wege nach Europa gäbe. Wenn nur der Weg über das Mittelmeer möglich ist, wird es immer diejenigen geben, die die Boote zur Verfügung stellen. Das wäre nur zu verhindern, wenn es einen legalen Weg auf legalen Booten gäbe. Und wenn man immer höhere Zäune um Europa baut, dann wird ein Flüchtling allein diese nicht überwinden können sondern auf Menschen angewiesen sein, die die Schlupflöcher kennen. Die europäische und deutsche Abschottungspolitik schafft erst das Geschäft, das die Fluchthelfer machen.

Allerdings, und das ärgert mich dann noch ein bisschen mehr, passen die “Schleuserbanden” eigentlich so gar nicht in die Argumentation, wenn man Sachleistungen an Flüchtlinge in Deutschland rechtfertigen will. Herr Schröter tut so, als würden die Fluchthelfer noch monatelang aus Deutschland Geld erhalten. Und er weiß sehr genau, welch Unsinn das ist. Fluchthelfer werden vor der Flucht bezahlt. Schlicht, weil sie sehr genau wissen, dass sie nach der Flucht keine Chance mehr haben, an das Geld zu kommen. Flüchtlinge in Deutschland haben in den ersten Wochen nicht mal ein Konto, von dem aus sie überweisen könnten und es wird auch kein Fluchthelfer durch die Erstaufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünfte trampeln, um Geld für eine geglückte Flucht einzusammeln. Deshalb ist Schröters Argumentation an den Haaren herbei gezogen und es macht den Eindruck, dass er seinen eigenen Argumenten für Sachleistungen nicht traut, wenn er die “Schleuserbanden” rauskramen muss. (Im Übrigen gäbe es eine Stelle, wo Flüchtlinge in Deutschland auf Fluchthelfer zurück greifen. Das ist der Bereich des Familiennachzugs. Das meint Herr Schröter aber nicht, wäre aber durch humanere Regelungen in diesem Bereich ebenfalls überflüssig.)

Mich ärgert auch, dass der Innenminister suggeriert, dass die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes so hoch wären, dass davon Dritte bezahlt werden könnten. Der Vergleich zum Einkommen in den Herkunftsländern, den er aufmacht, hinkt, da die Asylsuchenden ihren Lebensunterhalt hier bestreiten müssen. Von den Leistungen, die sie erhalten, müssen sie Kleidung, Nahrungsmittel und die Dinge des täglichen Bedarfs zahlen. Nicht in ihrem Herkunftsland sondern hier! Die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes liegen unter denen des SGB II. Und auch das weiß der Innenminister sehr genau!

Der letzte Punkt, der mich ärgert und zu dem ich deshalb hier etwas schreiben will, ist der des verlängerten Aufenthalts in der Erstaufnahme, damit diejenigen, die keinen Aufenthaltsstatus erhalten, direkt von dort aus abgeschoben werden können. Mal unabhängig davon, dass er dies auch wieder nur bei den “Armutsflüchtlingen” machen will. Er versucht damit von zwei Tatsachen abzulenken:

  1. Das BAMF schiebt aktuell mehr als 230.000 Asylanträge vor sich her. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt bei ca. fünf Monaten. Dies aber auch nur, weil Verfahren von Personen, die aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auch diejenigen, die aus Ländern stammen, die einen sehr hohe Anerkennungsquote haben, bevorzugt bearbeitet werden. Andere Antragsteller warten teilweise mehr als ein Jahr, um überhaupt erst einmal angehört zu werden. Die Länge der Verfahren hat nur bedingt etwas mit den steigenden Flüchtlingszahlen zu tun. Diese 230.000 offenen Verfahren haben sich über Jahre angesammelt, auch als es noch niedrige Flüchtlingszahlen gab. Das Problem liegt beim BAMF, das nicht genügend Entscheider hat und sich mit ineffizienten Dingen beschäftigt, wie dem Dublin-Verfahren, bei dem Aufwand und Nutzen selbst aus Sicht eines Verteilungsbürokraten in keinem Verhältnis zueinander stehen. Die Verfahrensdauer ist zu lang, aber das liegt nicht an den Flüchtlingen und auch nicht daran, ob sie vom Balkan oder von irgend woanders her kommen. Dies liegt am BAMF, der Verfahrensorganisation und der unzureichenden Personalausstattung.
  2. Aktuell reichen die Kapazitäten der Erstaufnahme in Brandenburg bei Weitem nicht aus. Eine längere Verweildauer von Flüchtlingen aus einzelnen Herkunftsländern würde eine deutliche Kapazitätssteigerung in der Erstaufnahme in allen Bundesländern erfordern. Brandenburg bringt bereits jetzt Flüchtlinge in Zelten unter, weil nicht genügend Plätze da sind. Und auch die geplante Kapazitätssteigerung würde bei Weitem nicht ausreichen, wenn Flüchtlinge länger bleiben müssten. Damit würde Schröters Idee die Situation zumindest in der Erstaufnahme sogar noch verschärfen. Gleichzeitig würde dies, das muss man zugestehen, den Kommunen ein wenig den Aufnahmedruck nehmen.

Es bleibt also nicht viel übrig an Substanz, wenn man über das Interview des Innenministers etwas genauer nachdenkt. Seine Vorschläge lösen kein Problem sondern schaffen neue. Und deshalb bin ich ziemlich sicher, dass es auch hier nur um eines geht: Die bundesdeutsche Öffentlichkeit darauf vorzubereiten, weitere Länder als sichere Herkunftsländer einzustufen. Das bringt zwar nicht den gewünschten Effekt der Abschreckung, denn die Erfahrung zeigt, dass dadurch nicht weniger Menschen aus den jeweiligen Ländern zu uns flüchten. Ein Land wird eben nicht sicher, nur weil wir das beschließen. Es bringt auch nicht den Effekt der kürzeren Verfahrensdauer, wie gern suggeriert wird. Es spart bei einem Entscheider beim BAMF nur wenige Minuten und nimmt gleichzeitig das individuelle Recht auf Asyl. Es tut aber eines: Es suggeriert, die Politik würde etwas tun gegen die steigenden Flüchtlingszahlen. Und auch das bedient die Stammtische und all jene, die vor der “Asylflut” warnen. Es verkennt aber, dass es nur einen Weg gibt, Flüchtlingszahlen dauerhaft zu reduzieren, nämlich die Ursachen, weshalb Menschen flüchten, zu bekämpfen, indem man bspw. die Kriegslogik in der Außenpolitik aufgibt, Waffenlieferungen in Krisengebiete sein lässt, mit der Ausbeutung ganzer Staaten durch multinationale Konzerne Schluss macht und vor Ort Infrastruktur und tragfähige regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützt. Damit endlich anzufangen, das wäre ein Weg.

Flüchtlingspolitik in Brandenburg - Handreichung zum aktuellen Sachstand

Für KommunalpolitikerInnen und in der Flüchtlingsarbeit Aktive habe ich einen aktuellen Sachstand zur Flüchtlingspolitik in Brandenburg erarbeitet. Dieser erscheint in einer Broschüre der Landtagsfraktion. Es gibt auch eine Version zum einfachen Ausdrucken. Der Text ist auch hier dokumentiert:

 

Derzeit ist das Thema Asyl und Flüchtlinge in aller Munde und auch die Presse ist voll mit Meldungen zu steigenden Flüchtlingszahlen und Diskussionen um neu zu errichtende Unterkünfte. Dabei treten immer wieder Fragen auf: Wie sind Unterkunft und Betreuung von Flüchtlingen in Brandenburg eigentlich organisiert?Welche Hilfen zur Integration gibt es, wer ist wofür zuständig und wie wird das finanziert?

Diese Handreichung soll KommunalpolitikerInnen, in der Flüchtlingsarbeit Aktiven und Interessierten einen schnellen Überblick über den aktuellen Sachstand zur Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen in Brandenburg geben. Es wird versucht, ein schnelles Erfassen der wichtigs- ten Entwicklungen und Fakten zu ermöglichen.

Aufgrund der dynamischen Entwicklung gibt es regelmäßig Veränderungen, weshalb eine Aktualisierung dieser Handreichung in unregelmäßigen Abständen geplant ist. Die jeweils aktuelle Fassung finden Sie auf www.linksfraktion-brandenburg.de.

 

Situation auf Bundesebene

Die aktuelle Prognose des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) besagt, dass im Jahr 2015 voraussichtlich 400.000 Erstanträge und 50.000 Folgeanträge von Asylsuchenden in Deutschland gestellt werden. Bereits in den Monaten Januar bis April 2015 hat sich die Zahl der AsylantragstellerInnen im Vergleich zum Vorjahr mit 100.755 Erstanträgen (Januar bis April 2014: 43.519) mehr als verdoppelt. In diesem Zeitraum wurden außerdem 13.370 Folgeanträge gestellt. Hauptherkunftsländer waren im Jahr 2015 bisher Kosovo, Syrien und Albanien.

Das BAMF hat durch bevorzugte Bearbeitung von Anträgen aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern, vor allem aus den Balkanstaaten, die Zahl der Entscheidungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nahezu verdoppelt. Asylsuchende aus diesen Ländern haben nach dem geltenden Asylrecht kaum Chancen auf einen Schutzstatus in Deutschland. Gleichzeitig bearbeitet das BAMF prioritär Asylgesuche aus besonders unsicheren Herkunftsländern (bspw. Syrien). Das ändert allerdings nichts daran, dass die Verfahrensdauer bei den AntragstellerInnen aus den meisten Herkunftsstaaten bei weit über einem halben Jahr liegt und das BAMF derzeit ca. 170.000 Entscheidungen vor sich her schiebt.

Das Bundesministerium des Innern will auf die steigenden Flüchtlingszahlen durch die Einstellung von 2000 neuen EntscheiderInnen reagieren, 750 davon sollen noch in diesem Jahr eingestellt werden. Wir begrüßen diesen Schritt, da er dazu beitragen kann, die Verfahrensdauer zu senken und damit auch die Zeit der Unsicherheit bei den AntragstellerInnen zu verringern. Es bleibt abzuwarten, ob die zügige Einstellung des Personals gelingt und dies auch die Bescheidung von Anträgen beschleunigt.

Im Jahr 2014 endete ca. ein Drittel der Entscheidungen mit der Gewährung eines Schutzstatus (Asylberechtigte, Flüchtlinge nach Genfer Flüchtlingskonvention, subsidiärer Schutzstatus, Feststellung eines Abschiebungsverbots). Hierin sind jedoch auch sogenannte formelle Entscheidungen enthalten. Dies sind vor allem Entscheidungen in denen das BAMF bei der Zuständigkeitsprüfung feststellt, dass ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Rechnet man diese formellen Entscheidungen heraus, ergibt sich ein bereinigter Schutzstatus von nahezu 50 Prozent. Das heißt, ca. die Hälfte der AsylantragstellerInnen, bei denen das BAMF inhaltlich entscheidet, erhalten einen Schutzstatus.

Es bleibt zu betonen, dass Deutschland Anfang der 90er Jahre mit ähnlichen Flüchtlingszahlen, wie sie jetzt erwartet werden, zu tun hatte. Es ist insofern eine schwierige Situation, es gilt aber darauf zu achten, nicht zusätzlich zu dramatisieren.

 

Situation in Brandenburg

Die Asylsuchenden werden nach dem „Königsteiner Schlüssel“ auf die Bundesländer verteilt. In Brandenburg werden nach diesem Schlüssel ca. 3,07% der AntragstellerInnen aufgenommen. Aktuell rechnen wir damit, dass im Jahr 2015 ca. 14.000 ErstantragstellerInnen zuzüglich FolgeantragstellerInnen in der Brandenburger Erstaufnahme unterzubringen sind. Das heißt gleichzeitig, dass monatlich ca. 1.000 Personen auf die Landkreise aufgeteilt werden müssen. Demgegenüber wurden im Jahr 2014 etwas mehr als 6.300 Asylsuchende in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes registriert, bereits dies stellte eine starke Steigerung gegenüber 2013 mit etwas mehr als 3.300 und 2012 mit knapp 1.800 Asylsuchenden dar. Aus diesen Zahlen wird bereits deutlich, vor welch großen Herausforderungen das Land und die Kommunen stehen.

 

Erstaufnahme

In der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Eisenhüttenstadt und deren Außenstellen in Frankfurt (Oder) und Ferch werden die Asylsuchenden in den ersten Wochen ihres Asylverfahrens untergebracht. Hier stehen derzeit max. 1.900 Plätze zur Verfügung. Bis zum Jahresende wird die Zahl der vorhandenen Plätze auf 3.200 und im Jahr 2016 auf 4.200 durch Kapazitätserweiterungen an den vorhandenen Standorten und zusätzliche Außenstellen in Frankfurt (Oder), Wünsdorf und Doberlug-Kirchhain erhöht. Mit dieser Steigerung kann erreicht werden, dass der Aufnahmedruck auf die Kommunen vor allem in Situationen mit sehr vielen AntragstellerInnen in sehr kurzer Zeit, etwas verringert werden kann. Gleichzeitig muss weiterhin Ziel sein, die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme so gering wie möglich zu halten, da eine Integration erst in den Kommunen wirklich möglich ist und in der Erstaufnahme die Kinder weder Anspruch auf eine Kindertagesbetreuung haben noch der Schulpflicht unterliegen.

Die gesetzlich vorgeschriebene gesundheitliche Erstuntersuchung wurde bisher durch das Gesundheitsamt des Landkreises Oder-Spree durchgeführt. Zum 1. Juli 2015 geht die Zuständigkeit auf das Land über. Die Untersuchung wird dann in Kooperation mit dem Krankenhaus in Eisenhüttenstadt direkt auf dem Gelände der Erstaufnahme durchgeführt. Ab November 2015 wird dort auch ein Röntgencontainer zur Verfügung stehen.

 

Unterbringung und Versorgung in den Kommunen

Nach einem Aufenthalt von maximal drei Monaten in der Erstaufnahmeeinrichtung erfolgt die Verteilung der Asylsuchenden auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden ist für die Kommunen eine Pflichtaufgabe nach Weisung. Die Verteilung erfolgt nach einem jährlich zu überprüfenden Schlüssel, der sich vorrangig an der EinwohnerInnenzahl orientiert. Aktuell ist folgender Schlüssel gültig: Barnim 6,9%, Dahme-Spreewald 6,7%, Elbe-Elster 4,6%, Havelland 6,2%, Märkisch Oderland 7,6%, Oberhavel 8,0%, Oberspreewald-Lausitz 4,6%, Oder-Spree 7,3%, Ostprignitz-Ruppin 4,5%, Potsdam-Mittelmark 8,4%, Prignitz 3,6%, Spree-Neiße 5,0%, Teltow-Fläming 6,6%, Uckermark 5,5%, Brandenburg a.d.H. 2,7%, Cottbus 3,7%, Frankfurt (Oder) 2,2% und Potsdam 5,9%. Dabei ist jedoch zu beachten, dass in der Vergangenheit nicht erbrachte Aufnahmeleistungen mit eingerechnet werden, weshalb die tatsächlich unterzubringenden Flüchtlinge von diesem Schlüssel abweichen können.

In Brandenburg ist die Verteilung auf die Kommunen über den sogenannten Circa-Server organisiert. Dabei melden die Kommunen freie Plätze und ihnen werden aufgrund dieser Freimeldungen Flüchtlinge zugewiesen. Dieses Verfahren gelangt jedoch an seine Grenzen, wenn nicht genügend Freimeldungen vorliegen. Für diesen Fall müssen Flüchtlinge auch ohne Freimeldung zugewiesen werden. Aufgrund der hohen Zugangszahlen wurde dieses Verfahren Anfang 2015 vorübergehend ausgesetzt, es soll jedoch grundsätzlich beibehalten werden.

Für den Fall, dass ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt der Aufnahmeverpflichtung nicht nachkommt, kann das zuständige Ministerium Ersatzvornahmen veranlassen. Ehe es zur Ersatzvornahme kommt, kommen Notfallpläne in den Landkreisen und kreisfreien Städten zum Einsatz. Das sind Unterbringungsmöglichkeiten in Turnhallen, Zelten o.ä. Grundsätzlich ist Ziel LINKER Politik, Notunterkünfte zu vermeiden!

In Brandenburg gab es mit Stand Februar 2015 55 Gemeinschaftsunterkünfte in denen ca. 5.700 Personen untergebracht waren. Darüber hinaus waren zu diesem Zeitpunkt ca. 2.500 Personen in ca. 990 Wohnungen untergebracht. Alle Landkreise und kreisfreien Städte sind derzeit dabei, die Platzzahlen für die Flüchtlingsunterbringung zu erhöhen. Das ist auch dringend notwendig.

Ein selbstbestimmtes Leben ist bei der Unterbringung in Wohnungen am besten zu erreichen, weshalb wir diese der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften vorziehen. Vor allem die aktuell teils über mehrere Jahre dauernde Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften stellt eine enorme psychische Belastung für die asylsuchenden Menschen dar und ist integrationshemmend. Mit besonderer Sorge betrachten wir derzeit die Tendenz zur Einrichtung großer Gemeinschaftsunterkünfte außerhalb von Wohngebieten in einzelnen Kommunen. Gerade hier sind die Mobilität und der Zugang zu Bildung und Teilhabe und damit eine schnelle Integration kaum möglich.

Gleichzeitig wissen wir, dass aktuell aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen ein enormer Aufnahmedruck auf die Kommunen herrscht. Erfreulich ist, dass der Anteil derer, die in Wohnungen untergebracht sind, dennoch kontinuierlich gesteigert werden konnte. Im ganzen Land wird es auch in der kommenden Zeit nötig sein, weitere Wohnungen für Flüchtlinge zu akquirieren.

Bei der Landesregierung ist eine Koordinierungsstelle für Flüchtlingsbelange eingerichtet worden. Diese ist angesiedelt beim Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie. Sie fungiert als Anlaufstelle für die Kommunen und soll die Zusammenarbeit zwischen Land und Kommunen vereinfachen.

Den Kommunen wird vom Land pro geschaffenen Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft eine Investitionspauschale in Höhe von 2.300,81 Euro gezahlt. Es ist davon auszugehen, dass die Investitionspauschale bei der Neuerrichtung von Flüchtlingsunterkünften regelmäßig nicht ausreicht, um alle bei den Kommunen entstehenden Kosten zu decken. Im Jahr 2014 wurde zusätzlich einmalig ein Landesprogramm in Höhe von 5 Millionen Euro aufgelegt, das die Schaffung zusätzlicher Plätze in Gemeinschaftsunterkünften und Wohnungen sowie den barrierefreien Umbau gefördert hat. Einige Kommunen versuchen aktuell über Miet- oder Öffentlich-Private-Partnerschaftsmodelle vordergründig haushaltsschonend Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen. Bei solchen Modellen ist unbedingt zu prüfen, ob die Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu einem Bau durch den Landkreis oder die kreisfreie Stadt auch über einen längeren Zeitraum gegeben ist!

Die Kommunen sind auch für die gesundheitliche Versorgung der Asylsuchenden zuständig. Dabei haben Asylsuchende keinen Anspruch auf eine gesundheitliche Vollversorgung sondern nur auf Behandlung von akuten Erkrankungen. Um die Kommunen hier von Verwaltungsaufwand zu entlasten und gleichzeitig die Entscheidung über die Behandlungsnotwendigkeit auf Ärzte zu übertragen, strebt das Land über einen Rahmenvertrag mit einer Krankenkasse, dem die Landkreise und kreisfreien Städte beitreten können, die Einführung einer Gesundheitskarte an.

Rechtliche Grundlage für die Unterbringung und Versorgung der geflüchteten Menschen ist das Landesaufnahmegesetz. 2015 ist eine Novellierung dieses Gesetzes vorgesehen. Die Eckpunkte sollen bis zum Sommer und der Referentenentwurf bis zum Herbst vorliegen. Zielstellung ist das Inkrafttreten zum 1.1.2016.

Die Erstattungsverordnung regelt die Übernahme der den Kommunen für diese Aufgabe entstehenden Kosten durch das Land. Zuständig für die Erstattung ist das Landesamt für Soziales und Versorgung. Für Unterbringung, Betreuung und Erbringung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wird den Kreisen und kreisfreien Städten pro Person eine Jahrespauschale von 9.128 Euro gezahlt. Diese Erstattung endet bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens und ist auf vier Jahre einschließlich der Dauer des Asylverfahrens begrenzt. Sie erfolgt jährlich, wobei vierteljährlich Abschlagszahlungen auf Antrag gewährt werden. Von dieser Möglichkeit wird bereits seit Jahren von allen Kommunen Gebrauch gemacht. Zusätzlich werden pro Gemeinschaftsunterkunft Bewachungskosten in Höhe von 6.900 Euro monatlich pauschal erstattet.

Im bundesweiten Vergleich gibt es verschiedene Formen der Kostenerstattung, einige Länder zahlen die konkret angefallenen Kosten, die restlichen arbeiten mit Pauschalen. Die gewährte Pauschale in Brandenburg ist im Bundesvergleich die höchste, wird allerdings nur für vier Jahre gezahlt. Derzeit fehlen Daten darüber, inwiefern diese Erstattung kostendeckend ist. Auch zur Höhe der Aufwendungen in unterschiedlichen Unterbringungsformen gibt es keine ausreichende Datenbasis. Für das Bundesland Thüringen liegen dazu detaillierte Zahlen vor. Man kann dort beobachten, dass zwar die Unterbringungskosten in Gemeinschaftsunterkünften zwischen den einzelnen Einrichtungen stark schwanken, allerdings ist fast flächendeckend festzustellen, dass die Unterbringung in Wohnungen kostengünstiger ist als in Gemeinschaftsunterkünften. Auch aus diesem Grund sollten weitere Anstrengungen zur Akquise von Wohnungen zur Flüchtlingsunterbringung unternommen werden.

Das Ministerium der Finanzen hat den Kommunen angeboten, geeignete Landesimmobilien für die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Zudem hat die Investitionsbank des Landes ein Kreditprogramm aufgelegt, über das Kommunen zu attraktiven Konditionen die Finanzierung der Investition in Flüchtlingsunterkünfte sichern können.

Für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und die soziale Betreuung der Flüchtlinge wurden durch das Land Mindestbedingungen festgelegt. Geregelt ist bspw. die Mindestwohnfläche, welche Einrichtungsgegenstände vorhanden sein und welche Beschaffenheit die Sanitär- und Kücheneinrichtungen haben müssen. Auch die Anforderungen an die soziale Beratung und Betreuung sind darin festgeschrieben. Die Einhaltung dieser Mindestbedingungen ist Voraussetzung für die Kostenerstattung entsprechend der Erstattungsverordnung.

Durch das Land werden aktuell fünf überregionale Flüchtlingsberatungsstellen mit insgesamt 7,5 Stellen gefördert. Eine weitere Aufstockung der Stellen ist geplant.

 

Spracherwerb

Das Land fördert mit einem Programm Deutschkurse für Flüchtlinge. Damit werden auch diejenigen beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt, die nicht an den vom Bund finanzierten Integrationskursen teilnehmen dürfen. Damit ist Brandenburg eines der ersten Bundesländer, das Asylsuchenden und Geduldeten die Teilnahme an qualifiziertem Deutschunterricht ermöglicht. Dieses Programm wird flächendeckend im gesamten Land Brandenburg durchgeführt. Zur regionalen Organisation wurden vier Koordinierungsstellen eingerichtet, die Interessierte unter anderem zu Eignungstests oder Sprachkursen beraten

 

Schulbildung

In der Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt wird ein speziell entwickelter Unterricht für Flüchtlingskinder angeboten, den es auch an künftigen Außenstellen geben wird. Dadurch erhalten die Kinder schon vor dem Schulbeginn in den Kommunen erste Sprach- und Kulturkenntnisse. Mit Beginn des Aufenthalts in den Kommunen unterliegen die Kinder der Schulpflicht. Die Landeskoordinatorin für Migrationsfragen beim Landesschulamt informiert die Schulen möglichst frühzeitig über ankommende Kinder und Jugendliche, damit sie sich vorbereiten können.

Die Kinder und Jugendlichen erhalten an den Schulen zusätzliche Sprachförderung, z. B. in Vorbereitungsgruppen und Förderkursen („Willkommensklassen“). Aufgrund der oft sehr unterschiedlichen Vorkenntnisse kann es in dünn besiedelten Regionen mit kleineren Orten bei der Organisation der Kurse Schwierigkeiten geben, Deutsch als Zweitsprache in verschiedenen Förderstufen zu unterrichten. Der Sprachunterricht erfolgt nach Möglichkeit durch speziell ausgebildete Lehrkräfte. Dazu gibt es seit August 2014 für zunächst 53 Lehrkräfte Fortbildungsreihen; weitere 59 folgen bis zum Frühjahr 2016.

Es gibt weitere gute Möglichkeiten, auf kommunaler Ebene die Integration wirksam zu unterstützen. Dazu können finanzielle Hilfen für das ehrenamtliche Engagement gehören. Auch Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes können helfen, um z.B. in Kita oder Schule ergänzende Angebote bereitzustellen.

Wichtige Kooperationspartner der Schulen sind die sechs Regionalstellen der RAA (Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie). Für sie ist die Integration von Asyl- und Flüchtlingskindern ein zentraler Arbeitsschwerpunkt.

 

Berufliche Integration

Das Landesnetzwerk „Integration durch Qualifizierung” (IQ Netzwerk) ist angesiedelt bei der Integrationsbeauftragten des Landes. Es möchte mit seiner Arbeit die berufliche Integration von Migrantinnen und Migranten verbessern und arbeitet mit den relevanten Akteuren vor Ort zusammen. Zu den Hauptaufgaben gehören dabei die Begleitung des Anerkennungsprozesses für Menschen mit im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen, die Schulung, Qualifizierung und Beratung der Fachkräfte in verschiedenen

Institutionen, um einen besseren Zugang zu Arbeitsmarktinstrumenten für Migrantinnen und Migranten zu sichern, die Verzahnung der Unterstützungsleistungen und -angebote und der Ausbau der erforderlichen Kooperationsstrukturen.

 

Finanzielle Auswirkungen für das Land Brandenburg

Grundsätzlich ist der Bund lediglich für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Er zahlt demnach alle Kosten rund um das Asylverfahren sowie die Kosten für Integrationskurse für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte. Die Länder sind für die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden in der Erstaufnahme zuständig. Die Kommunen sind für die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden nach der Verteilung auf die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Hierfür erhalten sie Kostenersatz gemäß der Erstattungsverordnung vom Land.

Aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen erhöhen sich aktuell die Aufwendungen für Asylsuchende in allen Ländern stark. Im Land Brandenburg beliefen sich die Gesamtkosten im Asylbereich (Investitionen, Kapazitätserweiterung und Betrieb der Erstaufnahme sowie die Kostenerstattungen gemäß Landesaufnahmegesetz) in 2013 auf 43,6 Millionen Euro. Im Jahr 2014 stiegen diese auf 75,1 Millionen Euro. Für 2015 ist mit Gesamtausgaben in Höhe von ca. 190 Millionen Euro und für 2016 von 260 Millionen Euro zu rechnen. Zusätzliche Aufwendungen entstehen durch Integrationsmaßnahmen und für Schul- und Kitabesuch; diese sind nicht exakt zu beziffern.

Das Land Brandenburg unternimmt enorme finanzielle Anstrengungen, um die Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden sicher zu stellen. Im vergangenen Jahr sagte der Bund zu, jeweils 500 Millionen Euro für die Unterstützung der Länder und Kommunen bei dieser Aufgabe für die Jahre 2015 und 2016 zur Verfügung zu stellen. Die Hälfte davon ist jedoch durch die Länder an den Bund zurück zu zahlen. Für Brandenburg bedeutet dies, dass das Land in 2015 und 2016 insgesamt 30 Millionen Euro erhält, wovon jedoch 15 Millionen Euro verzinst(!) zurückzuzahlen sind. Brandenburg stellt davon 22,5 Millionen Euro über das

Finanzausgleichsgesetz den Kommunen zur Verfügung. 7,5 Millionen Euro werden für die Erweiterung der Kapazität der Erstaufnahme verwendet.

Angesichts der o.g. Kostenentwicklung tragen diese Hilfen durch den Bund nur zu einem geringen Teil zu den entstehenden Kosten bei. Deshalb bleibt unsere Hauptforderung, dass der Bund sich endlich strukturell, angemessen und dauerhaft an den Kosten für Unterbringung, Versorgung und Integration von Asylsuchenden beteiligen muss.

 

Weitere Materialien

Rechtliche Grundlage für die Unterbringung und Versorgung der geflüchteten Menschen ist das Landesaufnahmegesetz. http://bravors.brandenburg.de/de/gesetze-212636

Die Erstattungsverordnung regelt die Übernahme der den Kommunen für diese Aufgabe entstehenden Kosten durch das Land: http://bravors.brandenburg.de/de/verordnungen-212776

Für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und die soziale Betreuung der Flüchtlinge wurden Mindeststandards festgelegt: http://bravors.brandenburg.de/de/verwaltungsvorschriften-221144

Die Investitionsbank des Landes hat ein Kreditprogramm aufgelegt, über das Kommunen zu attraktiven Konditionen die Finanzierung der Investition in Flüchtlingsunterkünfte sichern können. http://www.mdf.brandenburg.de/media_fast/4055/Faltblatt_ILB_Brandenburg-Kredit_Fuer%20Kommunen-Fluechtlingseinrichtungen.pdf

Kinder und Jugendliche unterliegen nach Verlassen der Erstaufnahme der Schulpflicht. Die Eingliederung fremdsprachiger SchülerInnen in allgemeinbildenden und beruflichen Schulen ist in der Eingliederungsverordnung geregelt. http://bravors.brandenburg.de/de/verordnungen-215198 Auch ein Anspruch auf Kinderbetreuung besteht.

Die Integration in den Arbeitsmarkt wird durch das IQ-Netzwerk (Integration durch Qualifizierung) gefördert. Weitere Informationen dazu gibt es hier http://www.masgf.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.278385.de Außerdem ist die Anerkennung von bereits erworbenen Berufsabschlüssen wichtig. Alle wichtigen Informationen dazu gibt es hier http://www.masgf.brandenburg.de/sixcms/detail.php/bb1.c.185581.de

Außerdem existieren in Brandenburg mehrere überregionale Flüchtlingsberatungsstellen. Eine Übersicht findet sich hier: http://www.masgf.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.189341.de

Der Landtag hat ein Integrationskonzept beschlossen. Hier finden sich weitere Informationen und Handlungsempfehlungen im gesamten Bereich der Integration http://www.masgf.brandenburg.de/media_fast/4055/MASF_1Landesintegrationskonzept2014.pdf

Was machen die Bayern da eigentlich?

Oder: Die perfide Logik bundesrepublikanischer Asylpolitik

Aktuell tobt die Debatte in der Bundesrepublik, wie der Beschluss der bayrischen Staatsregierung zu bewerten ist, für Geflüchtete aus Balkanländern „Abschiebelager“ zu schaffen, da diese ja eh keine Chance auf Asyl haben und mit dem Ziel, deren Asylanträge bevorzugt zu bearbeiten und sie dann so schnell wie möglich „zurückzuführen“. Nun wird munter diskutiert, ob das nicht ein Modell für alle Länder wäre und der Städte- und Gemeindebund hat schon Beifall geklatscht, weil dies die Kommunen entlasten würde. Zu Recht haben SPD, Grüne und LINKE aber auch zivilgesellschaftliche Akteure aus Kirchen und Vereinen und Verbänden diesen „Vorstoß“ kritisiert. Und dennoch kratzt die Debatte an der Oberfläche. Und deshalb will ich einige Punkte zur Debatte beitragen, die aus meiner Sicht bisher zu kurz gekommen sind.

Es ist, das will ich vornweg signalisieren, völlig richtig, dass der CSU vorgeworfen wird, mit diesem Agieren die Stammtische zu bedienen und Vorurteile und Ressentiments zu schüren und zu bestätigen. Und es ist auch richtig, der CSU vorzuwerfen, sich in gefährliche (rhetorische)Nähe zu Nazis zu begebene, wenn ihre Maßnahmen durch „massenhaften Asylmissbrauch“ gerechtfertigt werden soll. Das allein ist schon schlimm genug.

Mir geht es aber um einen anderen Punkt: Erneut reagiert ein Teil der Politik auf steigende Flüchtlingszahlen mit Abschreckung und Verschärfung des Rechts nach dem Motto: Wenn zu viele Flüchtlinge kommen, dann schränken wir einfach das Asylrecht ein und dann sind es weniger oder sie sind wenigstens schneller wieder weg und wir haben weniger Probleme.

Das war schon die Logik Anfang der 90er Jahre mit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl in Deutschland. Da es sich um ein im Grundgesetz verankertes Grundrecht handelt, konnte man es nicht so einfach abschaffen. Deshalb hat man sich damals die sogenannten „sicheren Drittstaaten“ ausgedacht. Es wurde einfach festgelegt, dass nur diejenigen ein Recht auf Asyl haben, die nicht bereits während ihrer Flucht in Sicherheit in einem als „sicher“ eingestuften Land. Nur wer nicht über einen solchen Staat eingereist ist, kann seitdem politisches Asyl in Deutschland erhalten.

Nun war das ziemlich perfide, denn rund um Deutschland gibt es nur als „sicher“ eingestufte Länder. Die einzigen „legalen“ Einreisewege sind demnach der Luftweg oder der Weg über die Nord- und Ostsee, letzteren kann man allerdings praktisch vollständig vernachlässigen. Und um es noch ein bisschen schwerer zu machen, Asyl in Deutschland zu bekommen, hat man Schnellverfahren an Flughäfen eingerichtet, die unter erschwerten Bedingungen und verkürzten Fristen stattfinden.

Insofern ist in den 90er Jahren nicht etwa die Verfolgung von Menschen zurückgegangen, sondern der deutsche Staat hat das Grundrecht auf Asyl in Deutschland faktisch dadurch abgeschafft, dass er die Bedingungen des Verfahrens so verändert hat, dass viele, die sehr wohl in ihren Heimatländern verfolgt werden, aus formalen Gründen abgelehnt werden. Das ist auch der Hintergrund für die sehr geringen Anerkennungsraten als politisch Verfolgte. Diese liegen in der Regel unter 2% der AntragstellerInnen. Nebenbei: Auf diese Zahl beziehen sich Nazis besonders gern, taugt es doch für ihre Zwecke, wenn man behaupten kann, dass fast niemand, der zu uns kommt, tatsächlich politisch verfolgt wird. „Massenhafter Asylmissbrauch“ eben.

Nach den im Vergleich sehr niedrigen Flüchtlingszahlen in den 90ern und Anfang der 2000er Jahre steigt die Anzahl derer, die bei uns Zuflucht suchen in den letzten Jahren rasant an. Das hat sehr viel mit Kriegsherden, bewaffneten Konflikten, systematischer Verfolgung und Ausgrenzung zu tun, aber nicht nur. Ich will hier ausdrücklich nicht auf die verschiedenen Fluchtursachen eingehen, das würde diesen Artikel sprengen. Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Industrienationen einen großen Anteil daran haben, dass mehr als 50 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, weil sie bewaffnete Konflikte anheizen und Waffen in Krisengebiete liefern und auch weil sie und ihre Konzerne aus wirtschaftlichen Interessen ganzen Regionen dieser Welt und den dort lebenden Menschen die Lebensgrundlagen entziehen. Damit haben es übrigens auch die Industrienationen in der Hand, etwas gegen die weltweiten Fluchtbewegungen zu tun. Nicht Abschreckung und Abschottung werden Menschen hindern, sich nach Europa zu flüchten, sondern die konsequente Bekämpfung der Ursachen der Flucht. Hilfe zur Selbsthilfe, Stopp von Waffenlieferungen und die konsequente Bekämpfung von Krisen durch friedliche Mittel wären ein Anfang.

Aber zurück zum Thema. Nun steigen also die Flüchtlingszahlen aufgrund weltweit anwachsender Fluchtbewegungen auch in Europa und Deutschland. Und neben dem im Grundgesetz garantierten Recht auf politisches Asyl gibt es auch noch die Genfer Flüchtlingskonvention, der Deutschland beigetreten ist. Diese sieht vor, dass als Flüchtlinge diejenigen sind, die sich aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung außerhalb des Staats befinden, dessen Staatsangehörigkeit die besitzen. Anzuerkennen sind Flüchtlinge, die verfolgt werden wegen ihrer „Rasse“, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung. Anerkannten Flüchtlingen sind durch den aufnehmenden Staat bestimmte Rechte zu gewähren, bspw. das Schutz vor Diskriminierung, Zugang zu Gerichten, Garantie der Religionsfreiheit usw. Zentraler Bestandteil des Flüchtlingsschutzes ist aber vor allem der Grundsatz des Nichtzurückschiebens: Er darf nicht in ein Land zurückgeschoben werden, in dem sein Leben wegen der o.g. Verfolgungstatbestände in Gefahr ist.

Auch diese Flüchtlingseigenschaft wird im Asylverfahren geprüft und da internationale Abkommen einzuhalten sind, ist es für deutsche Politiker nicht so leicht wie beim politischen Asylrecht, dieses auszuhebeln. Allerdings hat man auch hier Wege gefunden. Das unsägliche Dublin-Abkommen bspw. das maßgeblich von Deutschland vorangebracht wurde und das (vereinfacht gesagt) festlegt, dass innerhalb der EU Asylverfahren in dem Staat stattzufinden haben, in denen der Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat. Dies führt dazu, dass einerseits die Länder an den EU-Außengrenzen sehr viel mehr Flüchtlinge zu versorgen haben als die Länder im Innern Europas. Es führt aber vor allem auch zu einem unfassbaren Hin- und Hergeschiebe innerhalb der EU zu Lasten der Flüchtlinge. Flüchtlinge, die teils seit Monaten in Deutschland und endlich ein wenig zur Ruhe gekommen sind, die Sprache begonnen haben zu lernen und vielleicht sogar bereits einen Job gefunden haben, werden zurückgeschoben in Länder wie Griechenland, Ungarn oder Italien, wo sie teils unter menschenunwürdigen Bedingungen, obdachlos oder in Gefängnissen, oft ohne Nahrung und teilweise auch der Gewalt der Polizei ausgesetzt sind, auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten müssen. Übrigens egal, ob sie aus Kriegsgebieten oder vom Balkan kommen. Hauptsache weg, ist das Motto der bundesrepublikanischen Politik. Zynisch und menschenverachtend ist dieses System Dublin, allen Beteuerungen, dass man Flüchtlinge willkommen heißen will zum Trotz.

Und wenn man aktuell von allen Seiten hört, das Dublin-System würde nicht funktionieren und wäre gescheitert, so stimmt das zwar. Es sind aber unterschiedliche Motivationen, die zu dieser Feststellung führen. Die einen meinen, dass man das Scheitern vor allem daran festmachen kann, dass es unmenschliche Härten gegenüber den Flüchtlingen bedeutet. Die anderen meines etwas anderes: Bspw. hat Ungarn teilweise Flüchtlinge nicht mehr zurück genommen und Italien lässt oft Flüchtlinge einfach weiter reisen ohne sie zu erfassen und umgeht damit die Rücknameverpflichtung gegenüber anderen EU-Staaten. Beides führt dazu, dass man die Flüchtlinge, die man gern los werden würde, nicht zurück überstellen kann. Das meint die CDU, wenn sie sagt, Dublin ist gescheitert und nicht etwa die Härten, die Menschen nach einer jahrelangen Flucht zusätzlich zugemutet werden. Und wer das unsägliche Geschacher der EU-Staaten in den vergangenen Wochen um die Verteilung von 40.000 Flüchtlingen, die bereits in der EU sind, und von 20.000 Flüchtlingen aus Lagern an der syrischen Grenze, ein wenig mitverfolgt hat, der weiß, dass Humanität und Empathie nicht der Handlungsleitfaden der europäischen Regierungen ist.

Aber auch im deutschen Recht fand die Bundesregierung Möglichkeiten, das Recht auf Asyl weiter zu beschränken. Und so erfand sie die „sicheren Herkunftsstaaten“. Dabei wird unterstellt, dass es in diesen als „sicher“ eingestuften Ländern vom Grundsatz her keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gibt. Die Asylanträge von Menschen aus diesen Ländern werden grundsätzlich abgelehnt, es sei denn, die können nachweisen, dass sie, entgegen dieser Annahme, doch verfolgt werden. Damit wird das individuelle Recht ausgehebelt und diejenigen, die aus diesen Staaten stammen, haben nur sehr sehr geringe Chancen, Asyl in Deutschland, ob nun als politisch Verfolgte im Sinne des Grundgesetzes oder als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, zu erlangen. Bis vor knapp einem Jahr galten lediglich die Länder der EU sowie Ghana und Senegal als „sicheren Herkunftsstaaten“. Im vergangenen Herbst, als die Flüchtlingszahlen stiegen, kam die Bundesregierung dann auf die Idee, dass man ja ein paar mehr Länder als „sicher“ einstufen könnte, um dem „Problem“ besser Herr werden zu können. Gesagt, getan: Die Staaten Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien wurden durch den Bundestag zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt und der Bundesrat stimmte dem – wenn auch knapp – zu. Es war der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der aus der vereinbarten Linie der rot-rot-grünen Bundesländer ausscherte und damit dafür sorgte, dass künftig auch für Menschen aus diesen Ländern das Recht Schutz vor Verfolgung quasi abgeschafft wurde.

Es sind vor allem die Roma, die damit weitgehend schutzlos und nahezu ohne Chance auf Anerkennung als Flüchtlinge einer extremen Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt sind, die sehr wohl in sehr vielen Fällen das Zusprechen der Flüchtlingseigenschaft nach Genfer Flüchtlingskonvention rechtfertigen würde. Systematische Ausgrenzung, kein Zugang zu sauberem Trinkwasser, kein Zugang zu Bildung und oftmals nicht mal ein eigener Pass sind in der Summe sehr wohl Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

Winfried Kretschmann hat in der aktuellen Debatte übrigens gerade mitgeteilt, er wäre bereit über die Ausweisung weiterer Balkanstaaten als „sichere Herkunftsstaaten“ mit der Bundesregierung zu verhandeln, schließlich habe er schon einmal einem solchen Ansinnen zugestimmt.

Und da ist sie wieder, diese perfide Logik. Es kommen viele Menschen aus dem Kosovo und Albanien, also erklären wir diese Länder als „sicher“ und lösen damit unser Problem. Dabei sollte eines klar sein: Nur weil deutsche Politik ein Land als „sicher“ einstuft, sind Menschen dort noch lange nicht sicher vor Verfolgung und finden dort auch weiterhin Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen ganzer Bevölkerungsgruppen statt.

Schauen wir mal über den bundesrepublikanischen Tellerrand, stellen wir fest, dass zwar in Deutschland bei den Asylsuchenden aus dem Kosovo und Albanien die Anerkennungsquoten bei deutlich unter 1% liegen. Das ist aber nicht überall in Europa so. Bspw. liegen die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge aus dem Kosovo in der Schweiz und in Finnland bei ca. 40%; in Großbritannien werden knapp 20% der Asylsuchenden aus Albanien als Flüchtlinge anerkannt. Ist man in diesen Ländern also sicher vor Verfolgung? Nein! Die Bundesregierung will uns dies glauben lassen. Fakt ist, ob jemand verfolgt wird oder nicht kann man nur nach individueller Prüfung seiner ganz persönlichen Lebensumstände feststellen und nicht durch die bloße Festlegung nach dem Motto, wir sagen da ists sicher und dann ist das auch so.

In diesem Licht betrachtet, sieht man beim Blick auf die bayrischen Planungen zur Errichtung von Abschiebelagern für Flüchtlinge aus Balkanländern dann auch Folgendes: Nach aktueller Rechtslage gibt es für Menschen aus dem Kosovo und aus Albanien gar keine rechtliche Möglichkeit für Schnellverfahren, wie die bayrische Staatsregierung sie will. Auch diese Anträge müssen individuell geprüft werden wie jeder andere Antrag auch, den Menschen stellen, die nicht aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das zuständig ist für die Bearbeitung von Asylverfahren, schiebt aktuell mehr als 230.000 offene Verfahren vor sich her und selbst bei bevorzugter Bearbeitung von Anträgen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ beschieden werden, ist es rechtlich unmöglich, die Verfahren so schnell abzuschließen, wie suggeriert wird. Schon aus verfahrensrechtlichen Gründen. Und nebenbei gibt es ja auch noch einen Rechtsweg, der ebenfalls Fristen vorsieht, die nicht durch Beschluss einfach mal ausgehebelt werden können.

Und auch andere Maßnahmen, die die bayrische Staatsregierung plant, sind schlicht rechtswidrig: Weder ist eine Kürzung der Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz wegen der Herkunft oder der Bleibeperspektive einer Person zulässig, noch ist die Verkürzung des Rechtswegs in der Kompetenz des Bundeslandes. Und ein generelles Arbeitsverbot für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern widerspricht aktuellem bundesrepublikanischen und europäischem Recht.

Und deshalb bin ich auch der festen Überzeugung, dass es Bayern mit diesem Vorstoß vor allem um eines geht: Den Boden bereiten für die Ausweisung weiterer Herkunftsstaaten als „sicher“. Es wird versucht, die öffentliche Meinung zu manipulieren, indem suggeriert wird, diese Menschen wären ja eh nur „Wirtschaftsflüchtlinge“ und würden die Unterkünfte für die „richtigen“ Flüchtlinge blockieren. Damit wird nicht nur den Nazis faktisch Recht und den Stammtischen Bestätigung gegeben. Damit wird vor allem versucht, die Logik, die in der bundesdeutschen Politik wie dargestellt Tradition hat, ein weiteres Mal durchzusetzen: Wenn die Krisen dieser Welt dazu führen, dass mehr Flüchtlinge zu uns kommen, dann verändern wir die Verfahren so, dass sie zumindest schnell wieder weg sind.

Fakt ist: Asyl ist Menschenrecht! Und Menschenrechte sind individuell. Es gibt keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse, es gibt nur Menschen. Und deshalb will ich mit einem Zitat des Bundesverfassungsgerichts aus einem Urteil schließen: „Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Und ich füge hinzu: Auch nicht durch die bayrische Staatsregierung!

Flüchtlinge willkommen

Der Job der LINKEN in der aktuellen Situation

Es brennen wieder Flüchtlingsunterkünfte. Noch sind es „nur“ geplante Unterkünfte. Diejenigen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, geraten ebenfalls ins Visier. Noch ist kein Mensch zu Schaden gekommen. Noch nicht.

Wir beobachten derzeit mehrere gesellschaftliche Gruppen, die sich völlig unterschiedlich zu Flüchtlingen positionieren. Entsprechend differenziert muss unsere Strategie als LINKE sein.

Da sind diejenigen, die schon immer fanden, dass Deutschland vor „Überfremdung“ geschützt werden muss, die rassistisch und fremdenfeindlich sind und die sich jetzt – auch durch AfD, Pegida & Co – wieder „trauen“, das auch laut zu sagen und gegen alle, die vermeintlich fremd sind, Vorurteile zu schüren und zu hetzen. Unser Job als LINKE ist, sie aufzuhalten. Wenn sie hetzen, wenn sie demonstrieren, wenn sie drohen und wenn sie schlagen und brandschatzen, ist es unsere Aufgabe, uns ihnen entgegen zu stellen. Mit aller Kraft.

Und dann sind da diejenigen, die Vorbehalte und Ängste haben. Die anfällig sind für Ressentiments und Falschinformationen. Die Angst um ihr schönes ruhiges Leben, um ihre Grundstückspreise und um ihre Zukunftsperspektiven haben. Die Vorbehalte gegenüber allem, was „fremd“ ist haben. Um sie lohnt es zu kämpfen. Unser Job als LINKE ist es, aufzuklären, Ängste zu nehmen und Begegnungsräume zu organisieren. Mit wem man mal einen Kaffee getrunken hat, den findet man nicht mehr so bedrohlich und wem man regelmäßig im Sportverein über den Weg läuft, der gehört irgendwann „zu uns“.

Und es gibt diejenigen, die Geflüchtete unterstützen. Die aus tiefer Humanität, aus Nächstenliebe, aus Erfahrungen im eigenen Leben oder im Lebensumfeld oder auch aus religiöser oder politischer Überzeugung, Flüchtlingen helfen und sie beschützen. Die sich Nazis in den Weg stellen und damit nicht selten selbst ins Visier von Hass und Gewalt geraten. Unser Job als LINKE ist es, ihnen jede Unterstützung zu geben, die wir können. Verlässliche Ansprechpartnerin bei Problemen, Unterstützerin in der praktischen Arbeit und Verteidigerin gegen Angriffe auf sie müssen wir sein.

Und dann gibt es die Geflüchteten. Diejenigen, die bei uns Zuflucht suchen vor Krieg und Verfolgung, Elend und Hunger. Diejenigen, die als vermeintlich Fremde unter uns leben, ob nun seit Kurzem oder schon lange Zeit. Ihnen müssen wir als LINKE verlässliche Ansprechpartnerin, Helferin im täglichen Leben, Unterstützerin in allen Lebenslagen, Verteidigerin ihrer Interessen und Beschützerin, wenn es nötig ist. Wir müssen dafür sorgen, dass ihre Stimmen gehört und dass ihre Interessen artikuliert werden. Kurz: Wir müssen die Partei der FlüchtlingshelferInnen sein!

Viel zu tun für DIE LINKE in dieser Zeit. Und doch ist dies ein Kampf, den wir führen müssen. An diesen Fragen bricht sich die Zukunft dieser Gesellschaft, dieses Landes. Wie eine Gesellschaft mit den Schwächsten umgeht, sagt viel darüber aus, wohin sie sich entwickelt. Sensibilität, Humanität, Empathie und Solidarität – das sind Werte, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Wann, wenn nicht jetzt? Wo wenn nicht hier? Wie, wenn ohne Liebe? Wer, wenn nicht wir?

Die Toten kommen

Ein Kommentar

In den vergangenen Tagen haben AktivistInnen des “Zentrum für politische Schönheit” die Aktion “Die Toten kommen” gestartet. Die Kampagne besteht aus mehreren Aktionen. Da sind im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge, die in anonymen Gräbern verscharrt, mit Zustimmung der Angehörigen exhumiert, nach Deutschland gebracht und hier erneut, menschenwürdig bestattet werden. Da sind die symbolischen Gräber, die in einigen Städten im Stadtbild auftauchen (das Foto stammt aus Berlin, ich habe es direkt neben dem Brandenburger Tor aufgenommen). Und da war der “Marsch der Entschlossenen”, wo 5000 AktivistInnen nach einer Demonstration durch Berlin direkt vor dem Reichstag hunderte symbolische Gräber aushoben.

In den Medien hat eine kontroverse Debatte begonnen. Da ist davon die Rede, die Aktion verletze die Grenzen des guten Geschmacks. Nun, ist dem so?

Ja, die Kampagne ist hart. Sie macht die Toten an Europas Außengrenzen sichtbar. Sichtbar in unserem Umfeld, in unseren Straßen, in unserem Leben. Die Medien kommen nicht umhin, bei der Debatte um die Aktionen, deren Grund zu nennen. Damit rückt ins Bewusstsein, was da im Mittelmeer passiert. Die Toten bekommen eine Identität. Ein Sarg, ein Grab, auch ein symbolisches Grab zeigt: Es geht hier um Menschen. Um Mütter, Väter, Kinder, um Menschen die Hoffnungen haben und Wünsche, die Angst haben, vor dem Krieg und dem Elend und die so verzweifelt sind, dass sie sich in ein abgewracktes Boot setzen, mit viel zu vielen weiteren Menschen, in der kleinen Hoffnung, dem Krieg zu entrinnen, für sich und die ihrigen das Überleben zu sichern, und zu wissen, dass die Chance gering ist, das rettende Ufer zu erreichen und dass die Gefahr besteht, elendig zu ertrinken. Es rückt ins Bewusstsein, dass wir es sind, die eine Mitschuld am Tod dieser Menschen haben. Durch unser Konsumverhalten, durch unser Schweigen zu politischen Entscheidungen, durch unsere Akzeptanz, dass wir auf Kosten anderer unseren Wohlstand finanzieren. Wen hat es denn wirklich interessiert, wenn die Meldungen kamen, im Mittelmeer seien 300 oder 400 Flüchtlinge ertrunken? Vielleicht gab es eine kleine Meldung in den Medien, irgend jemanden, der sein Bedauern ausgedrückt hat. Und dann? Vergessen. Ja, hätte es sich um ein Kreuzfahrtschiff gehandelt, das havariert ist… Da hätte nicht mal jemand sterben müssen und es hätte eine Sondersendung nach der anderen gegeben. Sind deutsche Toruisten mehr wert als syrische Flüchtlinge?

Deshalb ist diese Kampagne so wichtig. Es rückt das, was diese Gesellschaft verdrängt oder nicht interessiert, in den Mittelpunkt. Wir sind es, wir in Deutschland, wir in Europa, die den Tod dieser Menschen in Kauf nehmen. Wo war der Aufschrei, als Italien mit Mare Nostrum ein Seenotrettungsprogramm auf Druck der anderen europäischen Staaten aufgab? Wo war die Empörung, als PolitikerInnen über die Zerstörung der Boote redeten? Wer hat mal gefragt, wie das eigentlich gemeint ist: Zerstörung mit oder ohne Menschen drauf? Wo ist die Bewegung, die all jene aus dem Amt treibt, die nicht nur nichts tun gegen das jämmerliche Ertrinken Tausender, sondern im Gegenteil alles dafür tun, dass es dabei bleibt?

Nein, diese Aktion verletzt nicht die Grenzen des guten Geschmacks. Das, was die Europäische Union mit den Flüchtlingen macht, verletzt jede Grenze zur Inhumanität. Nicht die, die die Verbrechen an den Flüchtlingen in unser Bewusstsein rücken, sind die, die Grenzen überschreiten. Nicht die Botschafter sind das Problem, das Problem ist die menschliche Kälte gegenüber dem Sterben Tausender im Mittelmeer.

Und deshalb danke ich den AktivistInnen. Ja, die Aktion ist hart. Aber leider bitter nötig!