Offener Brief an alle Gemeindevertreter zu Stolpersteinen in Dallgow-Döberitz

Offener Brief

Für eine durch bürgerschaftliches Engagement getragene Gedenkkultur in Dallgow-Döberitz

 

Sehr geehrte Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter,
sicher ist Ihnen die derzeit stattfindende Debatte um die in Dallgow-Döberitz zu setzenden Stolpersteine nicht entgangen. Wir wenden uns an Sie, weil wir die Hoffnung haben, dass wir als Gemeindevertreter es schaffen, die derzeitige Debatte zu versachlichen und gemeinsam zu einer Entscheidung zu kommen, die getragen wird von Verantwortung für die geschichtlichen Ereignisse in Dallgow-Döberitz ebenso wie von der Verantwortung, für den Ort eine Gedenkkultur zu etablieren, die den Opfern ein ehrendes Gedenken sichert. 

In der Debatte sind derzeit zwei Möglichkeiten, die Opfer des nationalsozialistischen zu ehren, genannt worden: Stolpersteine und/oder eine Tafel an einem öffentlichen Ort.

Ohne Zweifel sind beide Möglichkeiten geeignet, vom Nationalsozialismus Verfolgten zu gedenken. Allerdings werden die beiden Varianten völlig unterschiedliche Wirkungen auf die Gedenkkultur des Ortes haben.

 

1. Die Stolpersteine

Die Stolpersteine wollen im Alltag den Einzelnen auf das Schicksal Einzelner aufmerksam machen, vielleicht anregen, kurz inne zu halten. Sie geben den Opfern ihre Namen zurück, ihre Namen, die ihnen im Nationalsozialismus genommen wurden.

Die Stolpersteine sind kein abgeschlossenes Projekt. Immer dann, wenn neue Erkenntnisse über ein Schicksal gewonnen werden, immer dann, wenn die Initiativgruppe , Bürgerinnen und Bürger, Schülerinnen und Schüler oder Angehörige von Opfern etwas über von Nationalsozialismus Verfolgte herausgefunden haben, kann ein neuer Stein gesetzt werden, kann einem Opfer der Name wieder gegeben werden.

Damit markieren die Stolpersteine eine Gedenkkultur, die von bürgerschaftlichem Engagement getragen wird, denn ohne dieses Engagement wird es keine (neuen) Stolpersteine geben. Sie markieren eine Gedenkkultur, die das Gedenken individualisieren, jedem Einzelnen, der an einem Stein vorbei kommt, auffordern, kurz inne zu halten. Und sie individualisieren die Opfer, indem sie sie dort, wo die Menschen gelebt haben, bevor der nationalsozialistische Terror sie aus ihrem Alltag riss, ein kleines Denkmal setzen.


2. Zentrale Tafel

Demgegenüber steht der Vorschlag einer zentralen Tafel an einem öffentlichen Ort. An welchem Ort, da gibt es bisher unterschiedliche Vorschläge: am Gemeindeamt, am Bahnhof, an der Feuerwehr usw. Allein diese Vorschläge machen aber ein Problem deutlich: Der Ort ist beliebig, weil er nichts oder nur sehr wenig mit den Opfern zu tun hat.

Ein weiteres Problem stellt die Frage dar, was auf einer solchen Tafel stehen soll. Dazu gibt es sicher verschiedene Möglichkeiten. Man kann allen Opfern des Naziregimes pauschal gedenken oder man nennt die Namen. Doch die Namen sind bisher ja gar nicht alle bekannt und die Aussicht, nach langem Recherchieren auf der Tafel einen Namen ergänzt zu bekommen, wird kaum dazu führen, dass Bürgerinnen und Bürger anfangen, Schicksale zu recherchieren, unabhängig davon, dass ein neuer Name auf einer Tafel, die schon seit Jahren hängt, von niemandem mehr wahrgenommen würde.

Das Allgemeine Gedenken aller Opfer des Naziregimes als Inschrift auf einer Tafel würde noch weniger dazu beitragen, eine Erinnerungskultur zu etablieren, die den Opfern gerecht wird. Hier würde den Opfern weder ihr Name zurückgegeben, noch würde der Einzelne dazu angehalten, sich mit den Schicksalen der Verfolgten zu beschäftigen. Es würde ein (weiteres) Mahnmal, wo Politikerinnen und Politiker sich (wenn überhaupt) einmal jährlich treffen und Kränze ablegen. Die Bürgerinnen und Bürger bleiben aber außen vor.

Beide Möglichkeiten einer Inschrift markieren deshalb eine Gedenkkultur, die die Individualisierung des Gedenkens an jedem Tag des Jahres nicht vorsieht und mit der auch kein bürgerschaftliches Engagement zur individuellen Beschäftigung mit den Opferschicksalen erreicht wird.

Aus diesen Gründen halten wir – bei allen in der öffentlichen Debatte genannten Bedenken – die Stolpersteine für eine Form des Gedenkens, die wir uns in Dallgow-Döberitz sehr gut vorstellen können. Bei allen Einwänden und Bedenken müssen wir als Gemeindevertreter die Verantwortung für den gesamten Ort übernehmen. Es wird bei jeder Form des Gedenkens Bedenken und Einwände geben, es wird immer Menschen geben, die gegen die gewählte Form Widerstand leisten. Es wird auch immer innerhalb der jüdischen Gemeinde verschiedene Meinungen geben auf die sich die Befürworter und die Gegner jeweils beziehen. (Dies ist in der aktuellen Debatte ja auch zur Genüge geschehen.)

Wir als Gemeindevertreter haben die Verantwortung, sachlich und fair alle Argumente abzuwägen und zu einem Ergebnis zu kommen, die den Opfern ebenso gerecht wird wie den Bürgerinnen und Bürgern unserer Gemeinde.

Wir als LINKE sind zu dem Schluss gekommen, dass die Stolpersteine den Opfern des Nationalsozialismus gerecht werden und eine Erinnerungskultur befördern, die die Bürgerinnen und Bürger einbezieht und zu aktivem Handeln und individuellem Gedenken auffordert. Und wir hoffen, dass Sie sich dieser Einschätzung anschließen und das Setzen der Stolpersteine in Dallgow-Döberitz ermöglichen! 

Mit freundlichen Grüßen,

Dagmar Schubert               Andrea Johlige