Längere Verweildauer in der Erstaufnahme und Zentralisierung von Abschiebungen? – So nicht, Herr Minister!

Wenn der Innenminister Schröter sich mit den Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte trifft wird danach in der Regel flüchtlingspolitisch die eine oder andere Sau durchs Dorf getrieben. So auch dieses Mal. Dem Beitrag über die Konferenz bei "rbb Brandenburg aktuell" gestern Abend, konnten wir entnehmen, dass die Landräte und Oberbürgermeister und der Innenminister sich darauf geeinigt haben, dass die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme von jetzt sechs auf 24 Monate angehoben und die an die Kommunen übertragene Aufgabe der Rückführungen zurück zum Land, also zentralisiert, wird. Ich halte es für eine bodenlose Frechheit, dass der Innenminister hier der Öffentlichkeit suggeriert, dies wäre beschlossene Sache, obwohl er dies nicht im Ansatz bisher mit seinem Koalitionspartner besprochen hat und dieser im Übrigen dem auch nicht zustimmen wird.

Beide Themen sind auch nicht neu. Da die Debatte aber nun mal wieder in der Welt ist, hier ein paar grundsätzliche Anmerkungen dazu.

Verlängerung der Verweildauer in der Erstaufnahmeeinrichtung

Die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme beträgt bundesgesetzlich vorgegeben maximal sechs Monate. Der Bundesgesetzgeber hat eine Regelung aufgenommen, dass die Länder landesgesetzlich diese Dauer auf zwei Jahre ausdehnen können. Bisher hat außer Bayern kein Land eine solche Regelung erlassen. Aktuell plant der Bundesgesetzgeber eine Gesetzesänderung, nach der die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen auf 18 Monate ausgedehnt werden soll, wobei davon Familien ausgenommen sein sollen, bei diesen bliebe es bei einer maximalen Aufenthaltsdauer von sechs Monaten. Auch hier könnte jedoch der Landesgesetzgeber eine Ausweitung auf 24 Monate und auch auf Familien erlassen.

Wir als LINKE haben uns einer verlängerten Verweildauer immer entgegen gestellt und werden das auch weiterhin tun. Dafür wäre eine Änderung des Ladesaufnahmegesetzes nötig und das ändert bekanntlich der Landtag. Also braucht der Innenminister dazu die Zustimmung des Koalitionspartners und die wird es nicht geben. Das hat in der Landrätekonferenz der als Vertreter des Sozialministeriums anwesende Staatssekretär Andreas Büttner auch deutlich gesagt. Umso unverständlicher, dass danach solche Meldungen produziert werden.

Warum sind wir als LINKE gegen eine Verlängerung der Verweildauer in der Erstaufnahme? Eine ausführliche Argumentation habe ich bereits vor einem Jahr in meinem Blog veröffentlicht. Diese kann hier nachgelesen werden.

Deshalb hier nur die wichtigsten Argumente:

Eine verlängerte Aufenthaltsdauer hat integrationspolitisch negative Effekte

Wenn Menschen zwei Jahre in der Erstaufnahme, mit wenig Kontakt zur Bevölkerung, ohne Deutschkurse und mit erschwerten Bedingungen für eine Arbeitsaufnahme, bei den Kindern ohne Schulpflicht, untergebracht sind, und sich dann heraus stellt, dass sie doch bleiben können, beginnt die Integration erst nach zwei Jahren. Mit allen negativen Effekten eines zweijährigen Nichtstuns auf engstem Raum.

Eine solche Zentralisierung über einen langen Zeitraum birgt auch die Gefahr der Ausbildung von Strukturen der Organisierten Kriminalität, was nicht nur die weitere Integration erschwert sondern auch problematisch für die öffentliche Sicherheit ist.

Nach der Verteilung auf die Kommunen beginnt der eigentliche Integrationsprozess. Es ist unschädlich, wenn auch Menschen, die später in ihr Herkunftsland zurück müssen, Sprachkurse und die Schule besuchen oder eine Arbeit aufnehmen. Daraus ergeben sich sogar aufenthaltsrechtliche Bleibeperspektiven, bspw. bei der Aufnahme einer Ausbildung oder bei guter Integration. Da das Asylsystem bundespolitisch kaum durchlässig in Richtung Arbeitsmigration ist, kann dies für die Befriedigung des Fachkräftebedarfs wichtig sein.

Eine verlängerte Aufenthaltsdauer wird das „Problem“ nicht lösen

Wenn man anerkennen will, dass es wesentlich effektiver wäre, Menschen direkt aus der Erstaufnahme in ihre Herkunfts- oder Transitländer zurückzuführen, ist festzustellen, dass eine verlängerte Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme nur in geringem Maß zu einer „Effektivitätssteigerung“ führen wird. Die Probleme bei der Überstellung nach Polen, aber auch in andere Länder, werden weiterhin bestehen. Auch individuelle oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse werden sich innerhalb von zwei Jahren in der Regel nicht erledigen.

Hinzu kommt: Die Dauer der Klagen gegen die Asylbescheide wird dazu führen, dass bei Einhaltung aller Fristen auch bei einer zweijährigen Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme bei vielen Personen eine Rückführung nicht möglich sein wird.

Aus diesem Grund sind auch jegliche Kompromisse a ´la Verlängerung auf ein Jahr für einzelne Herkunftsländer oder Personengruppen keine Lösung.

Aktuell haben wir großen Leerstand in den Flüchtlingsunterkünften in den Kommunen, der vom Land zu großen Teilen finanziert wird. Verlängert man die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme, wird der Leerstand in den Kommunen vergrößert, während in den Erstaufnahmeeinrichtungen neue Kapazitäten geschaffen werden müssen. Auch fiskalisch ist dieser Vorschlag deshalb schwierig.

Aktuelles Problem

Allerdings ist festzustellen, dass aktuell mehrere hundert Personen, darunter ca. die Hälfte in Familienverbünden, länger als die vorgesehenen sechs Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung sind. Das hat vor allem einen Grund: Die Landkreise melden zu wenige freie Plätze in ihren Unterbringungseinrichtungen. Bisher setzt das Land auf das kooperative Freimeldeverfahren, das heißt, dass die Landkreise und kreisfreien Städte freie Plätze melden und diese dann durch Zuweisungen aus der ZABH belegt werden. Das hat den Vorteil, dass kurzfristige Probleme bei der Aufnahme in einzelnen Kommunen durch andere abgefedert werden können und durch Kommunikation der Beteiligten die Zuweisungen nach verschiedenen Kriterien wie Familienverbünde, Herkunftsländer usw. gesteuert werden könnte, was Konfliktpotentiale in den Unterbringungseinrichtungen der Kommunen minimiert.

Bereits seit mehreren Jahren gibt es immer wieder Landkreise, die keine oder zu wenige Plätze in ihren Unterbringungseinrichtungen frei melden. Das betrifft aktuell vor allem Barnim, Märkisch Oderland und Potsdam-Mittelmark, deren Aufnahmesoll insgesamt 2200 Personen umfasst. Dies konnte zum Teil dadurch kompensiert werden, dass mehrere Kommunen mehr Geflüchtete aufgenommen haben, als sie müssten und diese bereits jetzt ihr Aufnahmesoll im Jahr 2018 übererfüllt haben.

Die Tatsache, dass einige Landkreise ihr Aufnahmesoll dauerhaft nicht erfüllen und dadurch Personen, die längst in die Kommunen hätten verteilt werden müssen, weiter in der Erstaufnahme bleiben müssen, macht eine Änderung des Verfahrens erforderlich. Das Sozialministerium hat das Innenministerium seit Monaten gedrängt, bei Landkreisen, die die ihr Aufnahmesoll nicht erfüllt haben, vom Freimeldeverfahren abzuweichen und Geflüchtete auch ohne Meldung freier Plätze zugzuweisen, um diesen permanenten Rechtsbruch zu beenden. Es ist dringend geboten, dass das Innenministerium endlich seinen Job macht und dafür sorgt, dass die nicht aufnemenden Kommunen ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen. Der Zustand, dass Menschen – und hier auch noch sehr viele Familien – aufgrund der Nichterfüllung der Aufnahmeverpflichtung einiger Kommunen länger als die gesetzlich vorgeschriebene maximale Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahme verbleiben müssen, muss beendet werden! Scheinbar gibt es hier endlich Bewegung beim Innenministerium.

Zentralisierung der Zuständigket für Rückführungen

Bereits seit einigen Monaten gibt es die Debatte, die Zuständigkeit bei Rückführungen auf das Land zurückzuübertragen. Diese Aufgabe war 1997 an die Kommunen übertragen worden. Nahezu alle Landkreise und kreisfreien Städte wollen dies, auch das MIK macht hier immer wieder Druck.

Schon bei der ersten Debatte um diese Frage im Spätsommer hat der Innenminister zwar der Öffentlichkeit mitgeteilt, er wolle die Zentralisierung der Aufgabe. Was er aber genau plant, blieb im Dunkeln. Es ist auch nach den neuen Äußerungen nicht klar, welche Ausgestaltung seitens des Innenministeriums und der Kommunen gewünscht wird. Also reden wir darüber, dass die gesamte Aufgabe vom Ausweisungsbescheid über die Passbeschaffung bis hin zur Organisation und Durchführung der Abschiebung zentralisiert werden soll? Oder reden wir nur über Teile davon? Bspw. Entscheidung und aufenthaltsrechtliche Prüfungen bei den Kommunen belassen und Passbeschaffung und Vollzug zum Land. Wir wissen es nicht. Der Innenminister hat hier weder konzeptionell irgendetwas vorgelegt, noch über seine Pläne innerhalb der Koalition informiert.

Bisher haben wir als LINKE immer die Position vertreten, dass die Aufgabe vor Ort am besten angesiedelt ist, weil die Kommunen die persönliche Situation der Betroffenen am besten einschätzen können und die kommunalen Ausländerbehörden die Vernetzung aller Akteure am besten leisten können. Das ist auch richtig und deshalb muss die Entscheidung, ob eine Rückführung erfolgen soll, auch in jedem Fall bei den Kommunen bleiben. Allerdings sind auch aus LINKER Sicht Änderungen bei der bisherigen Zuständigkeitsverteilung denkbar, da die Entscheidungen der kommunalen Ausländerbehörden teilweise die notwendige Fachlichkeit vermissen lassen und es auch beim Vollzug der Abschiebungen durch Personalmangel und mangelnde Ausbildung zu unnötigen Härten und Problemen kommt. Da aber bisher seitens der Kommunen und des Inneministeriums bisher nichts zu den Plänen vorliegt, ist eine Diskussion dazu unmöglich.

Fazit

Als Fazit kann man also sagen: Der Innenminister ist hier zum wiederholten Mal öffentlich vorgeprescht, in dem Wissen, dass weder die Zentralisierung der Rückführungen noch eine verlängerte Verweildauer in der Erstaufnahme in der Koalition besprochen oder gar verabredet sind. Er hat auch nicht vorgelegt, was er eigentlich genau will und verhindert damit selbst die Debatte. Zu diesen Themen gibt es einen so großen Dissens in der Koalition, dass man getrost davon ausgehen kann, dass die Wünsche des Innenministers sich nicht erfüllen werden. Und: Er weiß das auch.